von Samara Ajjour
„Anfangsgründe der Fechtkunst“ ist ein Fechtbuch von Anthon Friedrich Kahn (1713-1797), das im Jahr 1739 erschien [Digitalisat Ausgabe Göttingen 1739] [Digitalisat erweiteret 2. Ausgabe Helmstädt 1761]. Das Werk hat eine Gesamtseitenanzahl von 162 Seiten und enthält zur bildhaften Darstellung der Übungen 25 Kupferstiche.
Kahn lehrte als Fechtmeister an der Georgius Augustus Universität in Göttingen. Er verfolgte mit Veröffentlichung dieses Werkes einerseits das Ziel, die mit Vorurteilen behaftete Fechtkunst in das rechte Licht zu rücken. Andererseits wollte er die „Wahrheit und den Werth“ dieser Kunst verbreiten. Seinem Wunsch nach sollten seine Schüler mit dieser Schrift eine Trainingsgrundlage erhalten. Inbesondere im Hinblick darauf, wenn einer seiner Schüler seine Nachfolge antreten sollte.
Der Text:
[Titelblatt] Anfangsgründe
Der Fechtkunst
nebst einer Vorrede
Von
dem Nutzen der Fechkunst
Und den Vorzügen dieser
Anweisung
herausgegeben
von
Anthon Friedrich Kahn
Fechtmeister auf der Georgius Augustus
Universität zu Göttingen
Goettingen
Gedruckt bey Johann Christoph Ludolph Schultzen
Universitäts Buchdrucker 1739.
[Widmung] Ew. hochgebohrenen Excellenz
dem Herrn
Herrn
Gerlach Adolph von Münchhausen
Erbherrn zu Straußfurth u.
Ew. Königl. Maj. Von Großbritannien
Und Churfürstl. Durchl. zu Braunschweig
und Lüneburg hochbetrauten Geheimten
Raht und Großvoigt zu Zelle,
Seinem Gnädigen und hochgebietenden Herrn.
[Widmung] Hochgebohrener Herr,
Gnädiger und hochgebietender Herr
Geheimter Rath und Grosvoigt,
Die unendliche Verbindlichkeit, worinn Ew.
hochgebohrne Excellence durch DERSELBER unvergesliche Gnadenbezeugungen mich zu setzen geruhet, habe bisher durch nichts, als eine sorgfältige Beobachtung der mir gnädigst aufgelegten Pflicht an den Tag zu geben gewust.
Ich habe mir vielleicht nicht ohne Grund mit der angenehmen Hofnung geschmeichelt, daß diese Art der Verehrung Ew hochgebohrenen Excellence am
[Widmung] am allergesälligsten sey. Die edelsten Reguln, nach welchen DJESELBER die Handlungen DERO Knechte zu schätzen pflegen, haben mich darin bestärket. Wenigstens bin ich davon fest überzeuget gewesen, daß Leuten von meiner Profeßion als ein Mangel demüthigster Verehrung nicht auszulegen stünde, wenn sie solche nicht öffentlich bezeugeten.
Nachdem ich aber den Entschluß gefasset, die Anfangsgründe der Fechtkunst in einer kurtzen Einleitung gemein zu machen, bin ich zweiffelhaft geworden, ob ich nicht diesem Werckgen zum Zeichen meiner unterthänigsten Devotion eine Zuschrift an Ew. Hochgebohrene Ercellence vorsetzen dörfte.
Der geringe Werth meiner Kunst, die unter denen freyen Künsten das Bürgerrecht noch nie erworben, und die Erinnerung meines grossen Unvermögens, welches mir nicht verstattet das Werk so auszuführen, daß es einigen Beyfall verdienen könte, haben mich zwar anfangs davon abgeschrecket. Allein da meine Absicht nach meinen Kräften eingeschränkten gewesen, und ich durch diese geringfügige Bemühung nichts weiter zeigen wollen, als daß es mir an dem aufrichtigen Vorsatz nicht fehle, meinen Scholaren die Erlernung der Fechtkunst zu erleichtern; so glaube für die Kühnheit meines Unternehmens hierin eine Entschuldigung gefunden zu haben.
[Widmung] Ew. Hochgebohrene Excellence geruhen mir solchemnach gnädigst zu vergeben, daß ich mich underwinde, DERO hohen Namen diesen geringen Blättern vorzusetzen, und eine demütigste Danksagung für die bisher unverdient genossene hohe Gnade mit einem so unwürdigen Geschenk zu begleiten.
Ich würde mich glückselig achten, wenn DJESELBER dieser Zuschrift in Betrachtung meines guten Willens gnädigst aufzunehmen, und das Werkgen selbst als einen Beweis meines Fleißes anzusehen geruheten, wodurch ich folglich DERO höchstschätzbare Kunst und Gnade noch mehr auf mich herab geneiget hätte. Mein Endzweck wäre dadurch völlig erreichet und ich hätte die gewisse Erlaubnis mich in tiefster Unterthänigkeit zu nennen
Ew. Hochgebohrnen Excellence
Meines gnädigen und hochgebieten
den Herrn Geheimten Rahts
und Großvoigts
unterthänigst gehorsamster Knecht.
A. F. Kahn.An den Leser
Es ist fast allen Schriftstellern gemein, daß Sie in den Vorreden ihrer Bücher die Befugnist zu erweisen suchen, welche Sie zu Herausgebung derselben ihrer Meinung nach berechtiget hat. Eine Vorrede ist, wenn man sie nach der Erfahrung beschreiben soll, nichts anders, als eine Schutz-Schrift des Verfassers, der seinem Werck ein ungütiges Schicksal entweder aus blosser Furchtsamkeit oder guten Gründen vorher prophezeiet. Neider, Verläumder, Sateiren-Schreiber, Zäncker naseweise Critici, mit einem Wort, Zoilus und Momus, bekommen vor der Zeit ihre Abfertigung und man sollte
[Seite 2] te aus dieser Gewohnheit fast schliessen, daß die mehresten Scribenten bey der Gemeinmachung ihrer Schriften kein gutes Gewissen haben müsten. Es pflegen diese Rechtfertigungen grösser oder kleiner zu gerathen, nachdem die Anzahl der Schrifften in der Art stärcker oder geringer ist, und nachdem der Urheber des Buches sich mehr oder weniger sicher weiß. Man suchet die Vorgänger, welche in gewisser Maße schon als Wiedersacher betrachtet werden, mit guter Art von ihrem Werth herunter zu setzen, um das Seinige dadurch unvermerkt zu erheben.
Der Titul der gegenwärtingen Vorrede solte den geneigten Leser fast auf die Gedancken bringen, als gienge ich mit eben dem Vorhaben schwanger: Denn von dem Nutzen seiner Kunst und den Vorzügen seiner Anweisung reden wollen, heisset wohl nichts anders, als allen vorhergehenden Scribenten den Krieg aufkündigen, und dabey ein heimliches Mistrauen gegen sich selbst und seine Profession verrahten: Allein so wahrscheinlich dieser Argwohn dem Leser auch vorkommen mögte, so ungegründet ist er doch vor der Menge und Wichtigkeit meiner Vorgänger habe mich eines theils wenig zu fürchten und andern theils schmeichele ich mir so viel nicht, daß ich dem Leser durch Redner. Künste oder die gewöhnlichen Erniedrigungen ein gütiges Urtheil abzuheucheln im Stande sey solte. Das letzte setzet eine Schwäche des Verstandes bey dem Leser zum Grunde, und das erste, seine Vorgänger aus Eigennutz zu verachten, lauft wieder die Gerechtigkeit welche wir, wo nicht ihren Verdiensten, dennoch ihrem guten Willen wiederfahren zu lassen verbunden sind. Ich werde dannenneroden
[Seite 3] den Unterscheid meiner Gründe der Fecht-Kunst von andern die theils in öffentlichen Schriften am Tage liegen, theils nur durch die mündliche Anweisung fort gepflantzet werden ohne Anzapfung ihrer Vertheidiger und Urheber, mit wenigen anzeigen und einen jeden bey seinem Rechte lassen, die daher folgende Schlüsse nach eingener Einsicht zu machen. Daß ich aber von dem Nutzer der Fecht Kunst überhaupt etwas ausführlichter handele; solches geschiehet vornehmlich in der Absicht, um den rechten Gebrauch dieser an sich ruhmwürdingen Kunst gemein zu machen, und meine eigene Herren Scholaren, denen diese Arbeit gewidmet ist, vor den Mißbrauch und den häuffigen Abwegen sorgfältig zu warnen. Es fehlet auch hier nicht an Vorurtheilen, welche entweder die ganze Kunst verwerflich machen, oder wenn sie gelinder sind, derselben einen so geringen Werth zu eignen, daß es einem veständigen Menschen allerdings gereuen müste, wenn er Mühe, Zeit und Kosten darauf verwendet hätte.
Die folgenden Blätter werden eirgeben, daß ich mich einer Unpartheiligkeit dieser Untersuchung befliessen und die gewöhnlichen Aufzüge, oder besser zu reden Aufschneidereyen, wodurch oftmahls die niedrigsten und schlechtesten Dinge erhoben werden, mit Sorgfalt vermieden habe.
Ich bin nicht willens die Fecht-Kunst auf dem Paradiese her zu leiten, oder ihre Nohtwendigkeit in den Stande der Unschuld zu behaupten. Der Stand der Unschuld der Schriften, oder auch nur das güldene Welt-Alter der Heiden, wie es ein Seneca beschreibet, weiß nichts von Schwerten und Degen, viel weniger von dem geschickten Gebrauch desselben, der Fecht=Kunst.
[Seite 4] kunst Meiner Meinung nach hat unser sinnreicher Herr Haller völlig rech, wenn er den verderbten Ehrgeitz anklaget,
Daß er aus unter irrd'schen grüften
Die tolle Zierde unsrer Hüften
Das Schwert zu erst an Tag gebracht.
die Erfindung feindseliger Waffen wäre unnöthig und unnütz gewesen, wo nicht ein feindseliges Gemüth den zu vorhersehenden allgemeinen Frieden verbannet hätte. Die mehresten unter uns blühende Wissenschaften und Künste haben sich desfalls nichts vor zu werfen: Denn was sind sie anders, als traurige Merckmale der verlohrnen Glückseligkeit und beschwerliche Mittel, wodurch wir denen nohtwendig gewordenen üblen entgegen zu gehen trachten? Dieser Vorwurf ist allgemein und den Werth der heutigen Wissenschaften unschädlich, massen deren Vortreflichkeit nur darnach abgemessen werden muß, ob und wie weit denen menschlichen Beschwerlichkeiten dadurch eine Linderung verschaffet wird? Wenn also von dem Nutzen der Fecht-Kunst geredet wird; so ist nur davon die Frage: Ob dieselbe den bey verderbten Sitten unserer Zeiten denjenigen dienlich seyn, welche von dem eingegriffenen Verderben sich zu entfernen und die verlohrne Ruhe in ihnen selbst so viel möglich wieder herzustellen suchen? Es ist unleugbar, daß sie in solchen betracht ihren augenscheinlichen Nutzen habe. So gewis es ist, daß der geschickte Gebrauch unserer Glieder uns nicht angebohren, sondern durch Kunst und Uebung erlanget werde; so gewiß ist es auch daß bey dem Gebrauch des Degens viele[Seite 5] viele Vortheile in der Zusammenfügung des menschlichen Körpers gegründet sind, welche man von Natur nicht sogleich in die Ausübung zu setzen vermag. Zwar ist wiederum nicht in Abrede zu stellen, daß eben der vorgepriesene geschickte Gebrauch des Degens das menschliche Elend oft mehr vermehret als vermindert habe: Allein es ist doch niemahlen nohtwendig, sondern allemahl zufälliger Weise durch eine unvernünftige Anwendung daraus hergestossen. Denen Römern hieß es niemand, als ihre abergläubische Einbildung und eine angebohrene Grausamkeit, daß sie erkaufte Menschen zu dem Ende in der Fecht-Kunst unterweisen liessen, damit sie nachher bey ihren Leichbegängnissen, oder nur bloß zur Luft in einen kunstmäßigen Gefecht, der grausamen Wollust ihrer Zuschauer das Leben aufopfern mögten. Künstlich vergossenes Mensch Blut muste nach ihren Wahn die abgeschiedenen Seelen von dem besorglichen Herumschweiffen nach dem Tode erlösen. Vielleicht haben sie auch in großer Einsamkeit dieß- und jenseit deß Styres tapfere Begleiter gesuchet, wozu diejenigen freylich am geschicktesten waren, welche ihr Blut vor ein kurtzes Wolleben verkauffen konten. Die Römischen Scribenten sind voll von dieser barbarischen Gewohnheit, welche vom Kaiser Constantin dem großen erst abgeschaffet worden. Ob unsere Väter, die Zerstöhrer der Römischen Hoheit den Degen besser angewendet, als die Römer, daran zweiffele ich noch sehr, Der Gebrauch des Verstandes war etwas seltenes unter ihnen und was sie durch die Krafft der Vernunft aus machen solten, wurde durch die Stärcke der Faust entschieden. Die Gottesordel der mitleren Zeiten sind be=
[Seite 6] bekannt genug: Eine Anzeige, daß die den Gebrauch des Degens mehr als zu weit aus gedehnet haben. Die Frage: Ob die Brüder und Schwester Kinder mit Bruder und Schwester bey der Erbfolge zugleich mit zu gelassen oder von den letztern ausgeschlossen werden solten, ginge schon sehr weit über ihre Begriffe, weshalb dieselbe zu den Zeiten Otto des grossen durch einen Zweykampf dahin entschieden wurde, daß die Brüders Kinder zugleich mit den Brüdern erben müsten (weil der Fechter, welcher sich vor die ersten geschlagen entweder mehr Geschick und Stärcke oder mehr Glück als sein Gegentheil gehabt hatte.) Was ietzo auf unsern Universitäten durch die Schöppenstühle ausgerichtet wird, das geschahe damals durch die Waffen, und ein geschickter Fechter war zu gleicherzeit ein auser ordentlich guter Rechtsgelehrter und Advocat. Statdessen, das wir jetzo die Acta ad referdendum aus stellen, machten die Anstalt zu einen feyerlichen und öffentlichen Duell, wobey es gewiß so zierlich und heilig zu ginge, als wenn der andächtigste Katolick die letzte Ohlung empfänget. Beweiß und Gegenbeweiß wurde durch einen kühnen Hieb oder Stoß volführet und man glaubte um so vielgewisser, daß Gott der gerechten Sache den Sieg unfehlbar beylegen würde, als beyde Duellanten vor dem Zweykampf einen Eyd abgeschworen, daß ihnen Gott nach der Gerechtigkeit ihrer Sache zu dem Kampf helffen solte. Mit einem Wort das Duelliren war recht in Form einer Kunst gebracht und die Duelle wurden für das bequemste Mittel angesehen schwehren Proceßen ein baldiges Ende zu geben. Wer in solchem Zweykampf überwunden wurde, hatte nicht allein das Unglück Schmertzen, Wunden ja wol gar den Tod
[Seite 7] Tod davon zu tragen, sondern er oder seine Erben mussten noch dazu alles das bezahlen, worüber im Gerichtgestriten war, So weit erstreckte sich das Recht des Degens bey unsern Vorfahren. Man schiesset hieraus von selbst, daß der Werth der Fecht-Kunst bey diesen Leuten von sehr grossen Umfang gewesen seyn müße; Denn haben sie das Rauffen für ein von Gott geheiligtes Mittel gehalten, ihre Vernunft übersteigende zweiffels Knoten auf zu lösen, so ist in tausend anderen Gelegenheiten der Gebrauch des Schwertes noch weit gewöhnnlicher gewesen. War es möglich, daß ein frey gebohrner Teutscher eine Beschimpfung anders als durch einen ordentlichen Zweykampf rächen und sein verlohrnes Ansehen durch Obrigkeitliche Hülffe und nicht vielmehr durch seine Faust wieder herstellen konte? Die Vernunft hat ihnen ein solches nicht eingeflößet, wobey es allezeit ungewis ist ob der Beleidiger und nicht vielmehr der Beleidigte verletzet wird. Sie verfluchen zwar aus angbohrner Ehrlickeit allen Meuchelmord, Uberfall und stärckere Gewalt; auf nichts waren sie mehr aufmercksam als auf die Gleichheit der Waffen und der übrigen bey einem Gefecht in acht zu nehmenden Vortheile: Allein der Vernunft geschahe dadurch noch kein genüge, weil das Schicksal des Beleidigers und des Beleidigten doch immer einerley blieb, wo ihm nicht die Fertigkeit des einem oder des anderen Theils den Ausschlag gab. Ohngeachtet nun diese Art die Beschimpfungen und das Unrecht von sich abzuwenden von einer Nation, welche ihren Verstand nachher zu brauchen angefangen, mit Feuer- und Wasser Proben mit den Gottes ordeln und andern unbelebten Gebräuchen unserer Vorfahren zugleich solte verbannet seyn; so ist sie dennoch, wie aller Welt bekant noch[Seite 8] noch starck im Schwange, wenigstens ist die Art zu dencken denen Deutschen so sehr eigen geblieben, daß sie ihnen fast zur andern Natur geworden zu seyn scheinet. Weder die gereinigten Lehr=Sätze unserer Religion, noch die schärfesten Straf=Gesetze unserer Regenten haben dies eingewurtzelte Übel gäntzlich ausrotten können. Wie schwer hält es nicht, daß so gar diejenigen, welche Aufräumung des Verstandes ihr gantzes Leben widmen, wenn ihnen eine vermeintliche Beschimpfung von andern ihres gleichen angethan wird die Obrigkeit um Hülffe anruffen? Sie glauben noch immer, wenigstens stehen sie desfalls in großer Furcht, es mögte die Wahl eines so vernünftigen Weges ihrer Ehre und guten Rahmen nachtheilig seyn. So schwer die Sache an sich zu begreiffen ist, so gewis leget sie die Erfahrung zu tage. Es ist wieder mein Vorhaben und über meine Fähigkeit, dies eingewuzelte Vorurtheil unferer Landes Leute durch die Gründe einer gesunden Sitten-Lehre zu bestreiten. Es haben Gesetzgeber und Redner an dessen Zerstöhrung gearbeitet, und man wünschet beiden einen guten Fortgang ihrer heylsamsten Bemühungen.
Nur aber scheinet es, als liesse das angeführte gerade wieder den Zweck, welchen die Auffschrift dieser Vorrede bezeuget.
Ich will von dem Nutzen der der Fecht-Kunst reden und meine Abhandlung hält bis hierher nichts in sich, als was dieselbe verhaft und verächtlich machen könnte. Ja was noch mehr ist, wenn ich aufrichtig herausgeben soll, so habe ich noch weit mehr Einwürfe wieder den Werth dieser Kunst in Vorrath, welche ich dem geneigten Leser wenig verhehlen kann. Jedoch eine gute Sache wird
[Seite 9] Wird dadurch vornehmlich aufgekläret, wenn man die Beschuldigungen dawieder in der größten Stärke vorträget und die Vertheidigung nicht darin setzet, daß man die Einwürffe auf eine hinfällige und schlechte Art vorstellig machet. Ich suche dannnenhero nicht zu verbergen, daß der Urheber unserer allerheiligsten Religion, die Friedfertigkeit und die Erduldung des Unrechts seinen Nachfolgern so sehr angepriesen, daß es fast das Ansehen gewinnet, als hätten diejenigen nicht geirret, welche sich verwundert, daß sie Schriften zu Führung blutiger Kriege und Rächung des angethanen Unrechts durch den Degen sich entschliessen können. Es scheinet ein so liebloses Betragen den Grundregels des Schriftenthums zu wiedersprechen.
Was sol man also von einer Geschicklichkeit halten, welche einzig dahin abzielet, wie man dem andern, wenn es wenig ist, seine Glieder lähmen, oder ihn gar durch eine tödliche Verwundung den Eingang in die unselige Ewigkeit eröfnensolle?
Es komt hinzu, daß unsere weise Gesetzgeber den Gebrauch des Degens, er mag so geschickt geführet werden als er will, durch die allerschäefesten Strafbefehle verbothen haben. Warum will man solchemnach eine Kunst erheben, deren Ausübung mit dem Leben bezahlt wird? Insbesondere solte ich mich entsehen, diese Kunst auf einer hohen Schule zu preisen, welche dieses vor allen ihren Schwestern zum voraus hat, daß durch die preißwürdigste Vorsorge ihres Durchlauchtigsten Sifters ihre Reinigkeit durch das Blut ihrer Bürger noch nicht beflecket ist, und wie wir von den gütigen Himmel erbitten, in Zukunft auch nicht besudelt werden wird.
Ist
[Seite 10] Ist es nicht wiedersinnisch an einem Orte, wo der Friede seine Wohnung hat, die Künste zu loben, welche unruhigen und streitbaren Gemüthern allein angenehm und brauchbar sind? Besiehet man auch die Würkungen dieser anzupreisenden Fertigkeit an denen, welche sich deren rühmen, so solte man gleichfals wenig vortheilhaftes daher entlehnen können. Was will man antworten, wenn der Einwurf durch die Aufführung und die Sitten vieler Kunstverwandten unterstützet wird? Würde es nicht sehr übel mit uns aussehen, daferne man das Bild eines Fechters nach dem Exempel des größten Hauffens schildern solte? Ich scheue mich nicht dasselbe her zu setzen, weil es die Aufrichtigkeit erfordert, daß ich nichts verschweige, was meinem Vorhaben wiederstreben könte. Es ist ein Mensch dessen vornehmste Freude darin bestehet, das er niemahlen ein hartes Wort ohne stündliche und nachdrückliche Rache angehöret und seiner Meinung nach keine niederträchtige Handlung unternommen hat. Auser der Tapferkeit glaubet er keine Tugend, und wenn er gütig ist, so giebt er zu, daß diese die andern alle in sich schlieffe. Seine Großmuth treibt ihn so weit, daß er lieber ins Elend gehet, als denen Gesetzen sich unterwirffet, welche seinen Maximen zu wieder sind. Seine Seele ist viel zu erhaben, als daß sie eine ruchlose Lebensart vor lasterhaft halten solte: durch eine ordentliche und sitzsame Aufführung, ja so gar durch die Reinlichkeit seiner Kleider wird sein großmüthiger Geis entadelt, als welcher solche Kleinigkeit denen niedrigen Seelen zu beobachten überlässet: Er entbehret lieber der Gesälligkeiten anderer, als das er sie mit höflichen Worten und Bezeigungen erbetteln solte: Mit einem Wort sein
grö=
[Seite 11] größtes Unglück ist, daß er in diesen verderbten Jahrhundert, wo die Welt von diesen braven und heroischen Glauben immer weiter entfernt wird und nicht viel mehr zu den glückseligen Zeiten des Don Quichotte das Licht der Welt erblicket hat. Ich solte meinen, wenn dieser Riß durch die Menge der Urbilder bestätiget würde, so wäre es wenigstens sehr gefährlich eine solche Kunst zu erlernen, welche ihrem Liebhabern so wunderliche Begriffe einflößen könte. Zwar mögte uns hierunter wol zu statten kommen, daß nicht alle, welche der Fechtkunst obliegen, in den Heldenglauben sich so weit vertieffeten: Allein man wird uns wieder einen andern Vorwurf machen, der zwar nicht so gefährlich, aber doch ebenmäßig von grossen Anschein ist. Man sagt: Die Fertigkeit im Fechten gebiehret Muth und der Muth wird gar leicht der Grund einer verderblichen Zankfucht und Stärkerey. Man will viele junge Leute gesehen und gekannt haben, die ehe sie fechten gelernet, sitsam und friedferting gewesen, bey welchen sich aber die Hertzhafigkeit nach gerade eingefunden, so daß man bey dem Ende jedweder Lection zusehens wahrnehmen können, wie ihnen das Hertz gewachsen. Es sey, fähret man fort, nachdem sie kaum contra zu fechten angefangen, dasselbe schon zu einer so merklichen Größe gediehen, daß keiner der nicht bereits ein halb Jahr contra gefochten, vor ihnen sicher gewesen. Hieraus soll ferner die Prahlerey nebst der jenigen heldenmäßigen Miene herfließen, wodurch sich die so genannten Reno´misten von allen andern vernünftigen Creaturen unterscheiden. Leute die vorher die Studien geliebet und denselben eifrig ergeben gewesen, sollen durch die Annehmlichkeit der Vorstellung, daß man gefürchtet wird
[Seite 12] wird, von ihren vorigen Fleiß in eine wilde und unbändige Lebens Art verfallen seyn. Man behauptet es sey vor ein Gemüth das von der Ehre am merklichsten getrieben wird, nichts angenehmer aber auch nichts gefährlicher, als wenn es andern fürchterlich ist. Die Erfahrung soll es bezeugen, maßen man solchen Leuten die damit begabt sind, eine entzückende Freude aus dem Gesicht gelesen haben will, wenn sie einmahl so glücklich gewesen, daß sie jemand angetroffen, der ihre Tapferkeit vor würklich und ihre Großmuth vor ein Etwas angesehen hat. Sie schliessen hieraus, daß man solche Menschen vor nichts mehr als vor der Fechtkunst zu warnen habe, weil diese ihre Schwachheit noch mehr aufhilft und ihre Einbildung so vollkommen macht, daß sie endlich zu ihren unwiederbringlichen Schaden ausschlagen muß. Denen die ein aus Wollust und Ehrgeitz zusammen gesetztes Temperamtent haben, soll die Erlernung des Fechtens zu einen nicht geringen Ubel Anlaß geben : Sie sollen dadurch in liederliche Gesellschaften, wo man dem Gesöffe und dem Spiel ergeben ist, gerathen, weil sie ein besonderes Vergnügen darin finden, indem sie ihre Geschicklichkeit in Fechten ehrwürdig und angesehen macht. Ja so gar bey manchen, welcher die zärtliche Neigung zu seiner Dulcinea vielleicht noch würde überwunden und aus seinen Hertzen verbannet haben, weil ihm der Degen seines Mitbuhlers gar zu schreckliche Eindrücke gemacht, soll, wie man uns vorwirft, bey zu nehmender Fertigkeit im Fechten die fast erstorbene Liebe gegen die Dulcinea gleichsam wieder lebendig werden und also ein Unheil von dem andern abstammen.
Die=
[Seite 13] Dieses wären ohngefehr die vornehmsten Einwürfe gegen diese Fecht=Kunst worauf ich mich dermahlen besinne, unter welchen die mehresten andern enthalten seyn werden.
Ich antworte darauf mit drey Worten, daß dieselben ingsesamt von dem Mißbrauch dieser Kunst hergenommen und damit weder wesentlich noch wahrscheinlich verknüpfet sind.
So wenig die Theologie jemand zum Enthusiasten die Jurisprudentz zum Naturalisten, die Medicin zum Marktschreyer und die Philosophie zum Griillenfänger macht, eben so wenig bringt das Fechten die vorbeschriebene Würkungen an und vor sich selbst hervor.
Nichts als die unrechte Anwenung dieser Fertigkeit und die versäumte Einprägung einer vernünftigen Sittenlehre sind daran schuld, wenn wir so üble Folgen gewahr werden. Durch die folgende Anmerkugen werde ich in ein mehreres L Licht setzen, worin der rechte Gebrauch dieser Kunst bestehe und da wird sich klärlich zeigen, daß so wol das Christentum als die bürgerlichen Gesetze damit bestehen können. Weder Christus der Göttliche noch auch die weltliche Gesetzgeber haben jemahls die Gegenwehr verbothen, wenn man von einem Wiedersacher den man nicht gereitzet hat, angefallen wird. Und warum solte es da nicht gereitzet hat, angefallen wird. Und warum solte es da nicht höchst nützlich sein, wenn man seinen Degen in solchen Fall so geschickt zu gebrauchen wüste, das uns ein wütender Feind nicht nach Wilkühr ermorden oder zu elenden und gebrechlichen Menschen machen könte? Solte es auch an dem sein, wie ich hiernächst zeigen werde, daß die Geschicklichkeit im; Fechten des bewährteste Mittel zu Vermeidung der Händel wäre, so wür=de
[Seite 14] de diese Kunst destowenigern Vorwurf leiden. Ein Mensch der weder seinen Verstand aufgekläret noch seinen Willen nach vernünftigen Gründen zu lenken weiß, der sich freuet, wenn er jemand beleidiget, oder keinen Unterschied unter den Folgen guter und böser Handlungen glaubet, kan ohne das Fechten in alle die Thorheiten verfallen, welche oben erzehlet sind. Wer aber seine Handlungen nach einer guten Richtschnur ein zu richten, sich gewöhnet, wird, wenn er auch der größte Meister im Fechten wäre, deswegen, weil er seinen Degen zu gebrauchen weiß, keinen Fehltrit begehen. Er wird weder einen Renommisten noch einen Debauchanten ähnlich sehen, und das Fechten wird seine gute Eigenschaften nicht verdunkeln.
Wenn sich ein solcher vor den Mißbrauch hütet, dörfte er wohl so wenig Ursach haben, die Erlernung dieser Kunst für sündlich zu halten, als wenig Hieroneymus Gott zu bitten nöhtig hatte, daß er ihm die Sünde vergeben mögte, die er durch Lesung des Horatz und des Cicero begangen zu haben vermeinte.
Jedoch es ist Zeit, daß ich nun nach Wiederlegung der Vorwürfe zu Entdeckung des Nutzens selber schreite, welchen uns die Erlernung des Fechtens gewähret. Ich vermeide dabey die Tohrheit der mehresten Schriftsteller, so von dem Nutzen dieser oder jener Wissenschaft geschrieben haben, mit allem Fleiß, weil ich leichtlich absehe, daß dieses eben das geschickteste Mittel ist, seine Profeßion verächtlich und lächerlich zu machen. Nach meiner wenigen Meinung kan das gemeinte Wesen und die Wohlfahrt eines Volckes ohne die Fechtkunst wohl bestehen. Ich werde sie denen Ständen des Römischen Reichs als ein Mittel die Ei=nig=
[Seite 15] nigkeit unter ihnen wieder herzustellen nicht anpreisen, weil ich nicht glaube, daß sie so viel Kraft habe, als der Teutsche Rechtsgelehrte Johan Oldendorp seiner Erklährung über den L. 2 Dig. de origine juris zu geschrieben hat.
Um aber doch ihren Nutzen nach seiner wahren Gestalt darzu stellen, so müssten wir uns eines theils die Menschen mit welchen wir leben, nicht vorbilden, wie sie seyn müssten, sondern wie sie würklich sind, und andern theils muß der, welchem das Fechten Nutzen soll, gleichmäßig unter gewissen Bedingungen betrachtet werden. Die Menschen sind nach dem Ausspruch des Herrn von Leibnitz weder gar zu schlim noch gar zu gut, und wird dörfen nicht glauben, daß sie uns allemahl nach den Reguln der Tugend begegnen werden. Derjenige aber welcher nach unsern Sinn des Fechten lernet, ist ein solcher der seine Lebens Zeit anders wo als hinter dem Ofen zu bringen soll. Er soll in die grosse Welt, und in dieser mit verschiedenen Leuten unter verschiedenen Umständen bey mancherlen Gelegenheiten umgehen. Es ist die größte Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß man ihm da nicht allemahl auf gleiche Art begegnen werde. Manche Ungelegenheit wird er durch eine gescheute Aussührung vermeiden, mancher aber wird er seiner Klugheit ohngeachtet nicht aus dem Wege gehen. Zwar verlange ich nicht zu leugnen, daß es nicht Leute gebe, die ihren Umgang mit andern, auch mit den gefährlichsten, auf eine so vernünftige Art ein zu richten wissen, daß sie ohne den geringsten Gebrauch der Fechtkunst durch die Welt kommen und ihre Ehre dabey dennoch unverletzt behalten. Allein, wenn mann sich auf dieser ihr Beyspiel be=
[Seite 16] beruffen will, muß man sich vor wol prüfen, ob man in der Tugend und der dabey nöthigen Klugheit soweit gekommen sei, als diese, bei welchen sie Überbleibsel des Standes der Unschuld auf eine so sichtbahre Weise anzutreffen sind. Es gehöret sehr viel dazu. Man muß nicht nur sich selbst, sondern auch andere zu regieren und einzunehmen wissen. Wieviel Uberwindung kostet es nicht, ehe wir nur dahin gelangen, daß wir dem andern keine Gelegenheit zu einem unfreundlichen Bezeigen darbiethen? Haben wir uns zu einem stillen Wesen und mehr zum denken als zum reden gewöhnet; so kan oftmals eine Mine uns verrathen, daß wir von dem andern keine vortheilhafte Meinung hegen. Diese ist hinlänglich genug ihn wieder uns auf zu bringen. Sind wir im Gegentheil gesprächig und Liebhaber von sinnreichen Schertzen, so weiß man, wie schwer es hergehe, wenn man einen artigen Einfall, sollte er auch dem andern bis an die Seele bringen, ersticken und bey sich behalten soll. Die aufgewecktesten Köpfe haben insgemein diesen Fehler an sich, daß sie viel eher Leib und Leben wagen, als daß sie einen vermeintlich guten und dabey beissenden Gedancken mit einem ewigen Stillschweigen bedecken. Und wer will alle die Gelegenheiten erzehlen wodurch unsere Gesellschafft wieder uns zum Zorn gereitzet werden kan. Wer auf Universitäten oder sonst nur in der Welt gewesen ist, wird sich auf tausend Fälle besinnen können, die entweder ihm oder andern eine traurige Würckung erfahren lassen. Die Aufmerksamkeit der Menschen ist gar zu eingeschränkt als daß sie auf jede Kleinigkeit achten und uns vor allen Ungelegenheiten bewahren solte. Der Fälle sind zu viel die uns bevorstehen und
und
[Seite 17] wir haben zu der Zeit die Uberlegung am wenigsten, da wir sie am mehrsten gebrauchen. Die Academischen Jahre die Zeit die wir auf Reisen zu bringen und die nachfolgenden gefährlichen Lauttee, da ein jeder auf uns hält, weil wir unser Glück machen und uns hervohr thun wollen, sind den mehrsten Versuchungen unter worfen ohngeachtet wir als dann die wenigste Kraft zuwiederstehen haben. Der Uberfluß der Lebensgeister und eine uneingeschränckte Ehrbegirde stürtzen manchen in einen so tiefen Abgrund woraus er Zeitlebens nicht wieder empor kommen kan.
Ich will nur um ein einziges Exempel anzuführen, das Schicksahl eines Studirenden wie es auf manchen Universitäten zu seyn pfleget, beschreiben, von welchen man sonst am allerwenigsten vermuthen solte, daß er bey den stillen und unbewehrten Musen in Gefahr gerathen würde.
Unsere Georgia Augusta ist zwar diejenigen nicht, alwo ein junger Mensch den anzuzeigenenden Gefährlichkeiten unterworffen zu werden befürchten darf; Ihre untadelhafte Einrichtung hat sie von solchen Bürgern völlig gesichert, welche etwa die Urheber des zubeschreibenden Unfuges seyn könten, und gestehe ich daher nicht ohne besonder Freude, daß der Schluß, welchen ich aus der folgenden Ausführung ziehen werde, allhier seine ganze Stärke verliehre, weil eine strenge Beobachtung der heilsamsten Gesetze, bey uns eben die Würkung hervorbingt, die man anderwerts durch sein eigenes Ansehen sich versprechen mögte. Allein da ich bey dieser Abhandlung auf alle Oerter, auch auf die gefährlichsten mein Augenmerck richte; so werde ich verhofentlich die Sache nicht zu weit treiben, wenn ich sie so
abschi=
[Seite 18] abschildere, wie sie an manchen Orten leyder mehr als zu viel im schwange gehet. Von diesen gilt es daher allein, was ich in den folgenden beybringe.
Betrachtet man nun aber deren Umstände, wie sie würklich sind, so ist wol unstreitig, daß ein ankommender Studirender daselbst entweder über kurtz oder lang in solche Gesellschafft geräht, wo man auf seine Sitten und übrige Eigenschaften ein aufmerksames Auge hat. Es herschet darin insgemein eine Begierde das Lächerliche, welches einer und der andere sich hat, auf eine scharfsinnige Art durch zu ziehen und man ist niehmals frölicher, als wen man einen solchen Gegenstand findet, woran mein seinen Witz ohne Gefahr und Ungelegenheit üben und zeigen kan. Daher komt es, daß ein jeder, der sich zum ersten mal hinen begibt, eine harte Probe ausstehen muß, welche um so gefährlicher ist, jegewisser sein künftiges Verhängnis während seines gantzen academischen lebens davon abhanget. Man ist scharfsichtig genug seine Schwäche einzusehen und man bemercket leicht etwas, wodurch die Gesellschaft auf eine ziemliche Zeit angenehm unterhalten würde, wenn man es nur in Gegenwart des neu einkommenden eröfnen dürfte. Es gehen dannenhero alle fernere Bemühungen der so genandten guten Freunde dahin, daß sie untersuchen, ob der Ankömling den Willen und das Vermögen wol hätte, die vorhabende Anzapfung von sich abzulehnen. Finden sie nun, wie solches leicht entdecket wird, daß er sich weder auf seinen Muht noch auf seinen Degen verlassen kan, so ist er alsobald der Text der Gesellschaft, woran jeder von den klügsten und bravesten bis auf den einfältigsten und furchtsamsten, die Stärke seines Verstandes und die Grösse seines
[Seite 19] seines Muthes zeiget. Der welcher vor wenig tagen in seinen Umständen gesessen, den er duch sein Unglück von der Verspottung erlöset, weil er in seinen Platz getreten, ist so tapfer und so beredt, wenn es über ihn hergehet, daß man schwören solte, es hätte ihm niemahls ein gleiches Verhängnis betroffen. Es ist schwer ein Mittel wieder diese Drangsalen zu finden: Er muß gemeiniglich so lange darunter stille halten, bis ihn ein anderer ablöset, der wo nicht mit mehrern, dennoch mit eben so viel Talenten versehen ist, die Gesellschaft von einer verdrieslichen Schläfrigkeit zu befreyen. Ist ein solcher Mensch nun nicht zu bedauern, der auf eine so unbarmherzige Art zum Spott der gantzen Universität gemacht wird? Jedoch ich habe sein Unglück noch nicht halb erzählet: Denn es bleibet dabey selten, daß man ihn mit stachlichten Reden und beissenden Schertz zusetzet: Man wil auch von seinen übrigen guten Eigenschaften Vortheil ziehen. Hat er Geld, so beschmauset man ihn wieder Willen so offt, als seiner Gesellschaft der unordentliche Appetit dazu erwachet. Er mag dabey so freygebig und so geduldig seyn, als er immer will, so kan es ihm doch von ferneren Belästigungen nicht so los machen. Er bleibt auf seiner eigenen Stube nicht verschonet. Diese Wolthaten haben eine gantz wiedrige Würkung. Sonst pflegen sie die Gemüther dem Wohlthäter zu verpflichten und eine Aufmerksamtkeit für dessen Vergnügen zu wege zu bringen. Hier ist es gantz umgekehrt: Der Wirth muß eben dazu den Wein hergeben, damit seine Gäste desto bessere Einfälle und desto mehr Feuer bekommen mögen ihn zu quälen. Er muß durch seine eigene Mittel ihr Geblüth in eine unordentliche Wallung bringen, damit
[Seite 20] mit sie sich desto weniger entsehen, eine übele Belohnung seiner Gütigkeit hinter sich zu lassen. Je mißvergnügter ihr Wohlthäter ist, desto vergnügter sind sie, und der Kummer, den sie aus seinen Augen lesen ist der stärkeste Bewegungs Grund ihn noch besser zuzusetzen. Es ist nicht genug daß diese Gäste vor sich selbst wolleben und ein überflüßiges zu sich nehmen: Sie müßen noch so viel auf die Erde gießen und sonst verderben. Ja es ist bey solchen Gelegenheiten die Entwendung seiner übrigen beweglichen Sachen nicht verbothen. Es ist ein bloßer Spaß wenn man den anderen Tag erzehlet, man habe seinen Wolthähter dieses und jenes geschossen. Sie gehen mit einen Wort nicht anders zu Werke als wenn sie einen Freybrief in der Tasche hätten über das Vermögen eines so guthertzigen Menschen nach belieben zu schalten. Sie verfahren noch sehr leidlich und gelinde, wenn sie nicht zu gleicher Zeit das Zimmer ihres Wohlthäters dergestalt verunreinigen, daß es dem Stall des Augine ähnlich wird. Und der Wirth selbst muß sich glücklich schätzen, daß nicht einer aus der Gesellschaft ihn selbst beleidiget und zu einem unvermeidlichen Rauffen auf den andern Tag gereitzet hat. Denn dieses hat bey solchen Vögeln wieder den besondern Nutzen, daß der Gutthäter, von welchen sie wissen, daß er lieber seinen Wein als sein Blut vergiessen siehet, des andern Tages einen eben so kostbahren Versöhnungsschmaus anrichten muß. Die Erfahrung wird mich rechtfertigen, daß ich die Drangsalen, worinn ein solcher Menschgeräth nicht zu hoch getrieben oder auf eine hyper bolische Art beschrieben habe. Daß ich noch viel zu wenig gesagt, ist daraus abzunehmen, das ich von dem Spiel, einer un=
[Seite 21] unvergleichlichen Erfindung den andern ohne Schaden der Ehre zu bestehlen, noch nichts erwehnet. Es ist leyder mehr als zu bekannt, wie diese Kunst in unsern Tagen zu einer ordentlichen Profeßion geworden, wo mit viele ihren Lebensunterhalt erwerben. Wer sie in solcher Waffe treiben wil, muß nicht allein die Kunst an sich selbst verstehen, sondern über das die Einsicht seines Mitspielers durch ein fürchterlich Ansehen zu übertäuben wissen. Es hilfet nichts, daß man so gescheuet ist, die heimliche Griffe zu merken: Man muß sich noch dazu Gewalt anthun um äuserlich davon nichts blicken zu lassen. Der Spieler wird bey der geringsten Mine mit den härtesten Worten oder wol gar mit Thätlichkeiten fertig seyn, wenn man eine Unzufridenheit über ihn verspüren läßet. Man ist auf solche Weise gedoppelt unglücklich. Es ist beschwerlich einem Müßiggänger dessen gantze Wissenschaft in künstlich Chartenmischen und Würfelnkneipen bestehet, Geld zu seiner Bosheit zu geben. Noch beschwertlicher aber ist den Unwillen und heimlichen Verdrus über solche Bubenstücke zu verbergen. Und nichts destoweniger fehlet es, wenn man auf Reisen oder an grossen Orten ist, an solchen Gelegenheiten nicht, wobey man öfters die gute Meinung anderer nicht wol bey behalten kan, wo man sich von allen Spielen gäntzlich loß sagen wil. Man wird zwar dagegen einwerfen, man solle die Leute unterscheiden, mit welchen man sich ins Spiel begiebet; allein so gut die Lehre an sich selber ist, so schwer ist sie doch in der Ausübung; Sinthemalen keine Kreatur der Verstellung mehr oblieget als eben ein Spieler. Man wird einen solchen zu seinen Mentor wehlen, so viele äuserliche Scheintugenden hat er ans sich, und so wol=
[Seite 22] wol stimmet alles bey ihm zusammen. Er prediget mit der größten Heftigkeit wieder das gewinsüchtige Spielen in eben dem Augenblick, da er den unschuldigen Bruder in sein Garn ziehet, und lässet die Wolfsklauen nicht eher blicken, bis er einen Zug gethan und die Reue bey dem andern schon vergeblich ist.
Betrachtet man nun diese Umstände zusammen; so wird wol niemand leugnen, daß ein bewährtes Mitel gegen diese Verdrislichkeiten, wenn ein solches vorhaden, nicht nützlich und lobens würdig seyn.
Ich behaupte dieses von der Fechtkunst und vermeine davon durch wichtige Gründe uberführet zu seyn. Denn wer seinen Degen auf eine geschickte Art zu gebrauchen weiß, und hat dabey die Verbesserung seiner Sitten nicht aus der Acht gelassen, der wird entweder alle oberzehlte Ungelegenheiten gäntzlich vermeiden, oder wenn er ja davon einen Anfall hat, so ist er im Stande durch einen eintzigen Beweiß seines Muthes und seiner Geschicklichkeit dem Unwesen auf einmal abzuhelfen. Das letzte kan ihm kaum wiederfahren, wenn es an den Orte bekannt ist, daß er seinen Degen verstehet, weil die ganze Schaar, welche wir vorhin als Urheber der Verdrieslichkeit angegeben haben, nur solche zu überschnellen suchet, von denen sie gewiß wissen, daß sie ihre Meister sind. Ihre erste Sorge gehet allezeit dahin, daß sie dieses in eine demonstrative Gewißheit setzen und ehe dieser Grundsatz nicht aus gemachet ist, wagen sie niehmals einen Anfall. Erfahren sie das Gegentheil, daß der Ankömling, auf den sie einen Anschlag gemacht, die verlangenden guten Eigenschaften einer übermäßigen Gedult und Furchtsamkeit nicht besitze, so begegnet man ihm durchgehends höflich:
Ja
[Seite 23] Ja man sucht ihn gar wo möglich in das Complot zu ziehen, um ihn auf andere Weise zu nutzen. Man befürchtet er möge sich dessen, welcher zu der Zeit der Vorwurf ihrer Beredsamkeit ist, annehmen und ihnen also einen wichtigen Vortheil entziehen. Können sie also ihn selbst nicht gebrauchen, so arbeiten sie doch wenigstens dahin, daß er ihnen den Handel nicht verderbe. Auch die berühmtesten under solchen Hauffen befürchten von ihm, daß er sie bey vorfallender Gelegenheit in ihr voriges Nichts verwandele, und diese Besorgnis macht sie sehr behutsam. Kurtz ein Mensch der in der Fechtkunst so geübt ist, wie wir es verlangen, dabey die Tugend liebet und von eitlen Einbildungen sich entfernet, ist allenthalben geliebet und geehret, auch so gar von denen, die wenn er ihnen nicht fürchterlich wäre, mit ihm auf die beste Art nicht verfahren würden. Man wird ihn zwar von den unlautern Gewinsten gerne etwas zu wenden wollen, damit er im Fall der Noht vor den Riß trete: Aber niemals wird man sich von ihm zu bereichern suchen: Niemals wird man im Spiel die heimlichen Kunstgriffe anbringen, wenn er mit dazu gehöret: Es ist etwas unerhörtes, daß man einem solchen auf seinen Zimmer solte gehänstelt haben: Und wenn sich tollkühne Leute auch soweit vergangen hätten, so würde er ihnen doch durch eine ernsthaft Vorstellung den Appetit bald benommen und sich in Zukunft vor dergleichen Ehrenbezeigungen gesichert haben. Es ist also die Erlernung unserer Kunst das beste Mittel händeln und Verdrislichkeiten aus dem Wege zugehen, stat daß sie uns nach der fehlsamen Meinung anderer dieselben auf den Haltz weltzen solte. Könte es ohne Ruhmrätigkeit geschehen, so wolte ich mich desfals
[Seite 24] falß auf eine Erfahrung beruffen, welche mir selbst an bekantesten ist. Inzwischen lebe ich doch der gewißen Hofnung, daß ein jeder der die behörige Zeit und Fleiß darauf verwendet und selbst kein Zänker ist, durch sein eignes Exempel von der Wahrheit meiner obigen Aufferungen überführet werden soll. Ich wil zwar niemanden davor gut seyn, daß er deswegen, weil er das Fechten etwas hoch getrieben, vor allen Händeln und Antastungen völlig gesichert seyn. Es hieße dieses der Fechtkunst zu viel zu schreiben und ihr grössere Würkungen beylegen als sie würklich hat. Man müste nicht wissen daß tollkühne oder besoffene Leute, ob sie schon den Degen gar nicht verstehen, im Stande wären, den ersten der ihnen vorkomt er sey wer er wolle, ohne alle Uhrsache anzugreifen. Man hat ja viele Menschen die nüchtern nach den strengsten Reguln der Morale einhergehen, so bald sie aber durch einen übermäßigen Trunck die Seele aus ihrer gesetzten Verfaßung verstöhret haben, eine solche Raferey und Unordnung von sich spüren lassen, daß man glauben solte, sie wären den Augenblick aus der Wildnis bey gesitteten Menschen angekommen. Vor diesen ist freylich niemand sicher: Nur hat es mit ihnen und desto weniger zu bedeuten. Wer das Fechten verstehet darf nur seine Defension in Acht nehmen und einen solchen Menschen rasen lassen, wie er will: Er wird ihm nicht thun; dahergegen der Fechter wenn er es nicht vor sündlich und unanständig hielte, jenem auf das leichteste einen Stoß bey bringen könte. Alle Besoffene sind aber nicht von dieser Art, die mehresten besonders diejenigen, welche der Muth nach Anzahl der eingenommenen Bouteillen wächselt, haben in der Trunckenheit noch sehr viel Unterscheidungs Kraft. Ihre
[Seite 25] Ihre Gedancken sind so unordentlich noch nicht, daß sie die Personen nicht solten unterscheiden können. Man findet sehr selten, daß sie trunken jemand angefallen haben, von welchem sie nüchtern gewust, daß er ihnen gewachsen, wo nicht gar überlegen sey. Das Gedächtnis thut gemeiniglich noch seine Würkung, wenn schon die hitzige Wallung der Säfte eine Verachtung des Todes bervor zu bringen scheinet. Der bloße Name eines in der Fechtkunst geübten ist oftmals hinlänglich eine ganzte Schaar von ihrem Vorhaben abwendig zu machen. Mir selbst ist eine Begebenheit wissend, daß eine ganze Gesellschafft; denen beym Schmause die Geister erwachet waren, sich dahin vereiniget und verschworen hatten, den ersten den besten, der ihnen auf der Gaße aufstossen würde, anzugreiffen. Sie giengen in diesem gottlosen Vorhaben von dem Ort ihres Vergnügens heraus und traffen zu allererst einen Menschen an, der wegen seiner Fertigkeit im Fechten einen grossen Ruhm erlanget hatte. Sie fielen ihn der genommenen Abrede zu folge feurig an, und nöthigten ihn dadurch sich zu Wehre zu setzen. Er that es auch, verwieß ihnen ihr unvernünfftiges Betragen und sagte wer er sey. Sobald die vermeinten Helden seinen Namen höreten, der ihnen allerseits wol bekandt war, zogen sie zurück, bahten ihn um Vergebung und giengen in Friede nach Hause, da sie im wiedrigen Fall, wenn sie einen Menschen angetroffen, der ihnen nicht wiederstehen können, vermuhtlich ein großes Unglück würden angerichtet haben.
Es wird hieraus nun, wie ich hoffe, mehrentheils klar seyn, daß die Fertigkeit in Fechten die gröste Sicherheit verschaffe und uns vor Händeln an besten bewahre.
[Seite 26] wahre. Ich würde auch diese Abhandlung damit beschliessen, wo ich nicht zum Voraus sehe, daß dem Leser noch zwey hauptsächliche Einwürfe die wieder beyfallen werden. Erstlich wird man gedenken, die Sicherheit und Vermeidung der Händel sowol als aller andern Verdrieslichkeiten, so uns übelgeartete Leute verursachen wollen, stehe dadurch sattsam zu verhüten, wenn man die Obrigkeit desfals um Hülfe anrieffe, als wozu uns die Gesetze ohnedem verbänden. Ich antworte darauf, daß es nicht allemahl angehe, die Obrigkeit zu Hülfe zu nehmen: Denn wie will mich die Obrigkeit retten, wenn ich von meinem Feinde mit tödlichen Gewehr angefallen werde? Es ist da keine fremde Hülfe zu erwarten, sondern man ist gewis verlohren, wenn man sich durch die Geschicklichkeit seiner eigenen Faust nicht retten kan. Und ob ich wol gerne zugebe, daß die Anruffung der Obrigkeit in den mehresten Fällen thunlich und nohtwendig sey, so werde ich doch mit größten Recht behaupten, daß es weit vortheilhafter sey, wenn man dieses Mittels gar nicht nöhtig hat, das ist, wenn andere sich gar nicht unterstehen, uns dergleichen zu biethen: Nicht zu gedencken, daß viele Oerter in der glückseligen Verfassung unserer Georgia Augustae nicht stehen, gestalten an manchen Orten solche Sachen ohne die größte Lebens- Gefahr und ohne gäntzlichen Verlust der Ehre kaum klagbar gemacht werden.
Zweytens wird man mir einwerfen: Wenn schon die obige Auflösung ihre Richtigkeit hätte, so wäre doch ein Mensch, dem die Natur die Hertzhaftigkeit nicht versaget, ohne alle Kunst, durch den blos natürlichen Gebrauch seiner Arme geschickt genug sich ein An=
[Seite 27] Ansehen zu erwerben und gegen den regulmäßigsten Fechter sich zu vertheidigen. Mann nennet die Leute, welchen man diese Fähigkeit beyleget Naturalisten, wovon ich meinem Endzweck gemäß etwas umständlicher reden muß. Ihr Hauptzweck bestehet in einer Hertzhaftigkeit, welche sie entweder würklich besitzen oder nur zu besitzen vorgeben, so dergestalt groß und weitläuffig seyn soll, daß sie ihnen nicht einmahl erlaubt, auf die Kleinigkeiten und Vortheile der Kunst zu sehen. Sie setzen insgemein eine ansehnliche Stärke des Armes zum voraus und vermeinen damit mehr auszurichten als mit ausstudirten Finten. Sie lachen über die ordentliche und langsame Methode, wornach ein Fechtmeister seine Scholaren führen muß, wenn sie die Kunst gründlich erlernen sollen. Ihr vornehmster Trost bestehet darin, daß unter dem Rappier und dem blanken Degen ein himmelweiter Unterschied sey. Das Blitzen des Schwertes, sagen sie, macht den Fechter alle seine Vortheile und Künste vergessen, welche er mit dem finstern Rappier vielleicht anbringen könte. Sie werden zwar in etwas durch die Natur geformt, ihr Wesen aber empfangen sie durch einige glückliche Händel, wo sie entweder ihren Gegentheil verwundet haben oder wenigstens ohne eine Andenken davon gekommen sind. Sonsten ist die Verteidigung ihres eigenen Körpers ihre mindeste Sorge, maßen sie bey einem Gefecht nur darauf bedacht sind, wie sie dem Feinde eins anhängen wollen. Bekommen sie nun solche vor sich, die eben wenig auf die Defension geführet sind, so erlangen sie ihren Endzweck und werden dadurch in ihrer Einbildung unüberwindlich. Ist ihre Herzhaftigkeit etwas mehr als eine Kunst furchtsamern ein Schrecken ein=
[Seite 28] einzujagen, so fragen sie nichts nach Verwundungen sondern sie halten dieselben vor die bequemsten Mittel noch fürchterlicher zu werden. Es ist diesen also an liebsten, wenn die sichtbaren und unbedeckten Theile des Leibes, die Hände, und das Antlitz verletzet werden, weil die so fort in die Augen fält und sie folglich nicht nöthig haben die Zeichen ihrer Tapferkeit durch Entblössung des Armes oder des Leibes erst zu entdecken. Jedoch muß man ja nicht glauben, daß sie alle von der Art seyn solten. Die mehresten die eine so hohe und aus lauter Verachtung des Todes zusammen gesetzte Natur zu haben vorgeben, sind der Menschheit nicht gar zu sehr entrissen. Und ich solte fast behaupten sie hätten überhaupt die Vermuthung wieder sich, weil dergleichen Art Menschen in unzähligen Fällen gezeiget hat, daß sie in der Ausübung ihrer Stoischen Weltweisheit nicht die aller gesetzten sind. Immittelst sind diese Leute doch insgemein fürchterliche Kreaturen, nicht weil sie es in der That sind, sondern weil sie viele antreffen, die von ihrer äuserlich wilden Mine und heldenmäßigen Rüstung auf eine innere Heldentugend schliessen. Sie bleiben so lange in diesem Ansehen, bis ihnen von einen stärkern, der sich von ihrer Tapferkeit nicht hat wollen überführen lassen, gezeiget wird, wie nichts sie seyn und wie wenig Ursach sie haben, auf ihre Narben zu pochen. Sie sind glücklich, wenn ihnen diese Lection von einen gesetzten Fechter gegeben, wird, weil sie in solchem Fall mit dem Leben davon kommen. Sonst lauffen sie die größte Gefahr von einem anderen eben so wütenden Naturalisten über einen Hauffen gestossen zu werden. Es ist traurig eine solche Schägerey mit anzusehen. Denn keiner von
[Seite 29] beyden denkt auf seine Defension, sondern sie stossen aufeinander ohne alle Maße (Mensur) und man muß sich wundern, daß sie nicht beyde auf dem Platze bleiben.
Dies ist der Charakter eines Naturalisten, wie er insgemein ist, und wie ihm die Erfahrung bestätigt. Ich überlasse nun den veständigen Leser das Urtheil zu fällen, ob es rathsam sey der Fechtkunst davon einen Vorwurf zu machen. Die Gefahr worin diese Leute sich selbst und andere stürtzen ist offenbahr: Denn wenn es jemahls wahr ist, daß die Wunden nicht nach der Mensur gegeben werden, so trift es gewiß bey diesen ein. Dahergegen ein Fechter der seine Kunst nicht obenhin gelernet hat, gegen solche einer fast völligen Sicherheit sich getrösten kan. Es wird sehr selten ein Fall anzutreffen seyn, da zwey Fechter einander das Leben genommen haben; denn das lässet die Behutsamkeit, wozu sie angeführet sind, nicht zu: Kurtz ein Naturalist überlasset sich dem Ohngefehr, ein Fechter hergegen den gewissen Reguln seiner Fechtkunst, welche ihn wenigstens vor einer tödlichen Verwundung bewahren. Ich würde dem geneigten Leser mit unnöthiger Weitläufigkeit belästigen, wenn ich die Vorzüge eines Fechters vor einen Naturalisten noch weiter ausführen wolte: Wer an genauerer Erwegung der Sache ein Vergnügen findet, mag den Charackter eines rechtschaffenen Fechters, wie wir ihn haben wollen, mit dem obigen Bilde eines Naturalisten vergleichen, und selbst von dem Unterscheide urtheilen. Ein Fechter lernet nach unserer Vorstellung diese Kunst zu keinem andern Ende, als seiner eigenen Sicherheit und Ruhe halben. Er suchet niemand da,
[Seite 30] damit zu beleidigen, noch weniger durch diese Fertigkeit eine Herrschaft über, die Schwächern zu erlangen. Es ist ein viel zu grosser Verehrer der göttlichen, natürlichen und menschlichen Gesetze, als daß er sich der gleichen unerlaubte Absichten vorsetzen solte. Niemand verabscheuet die Zänkereyen und die Beeinträchtigungen mehr als er, weil er weiß, daß das Vergnügen der menschlichen Gesellschaft dadurch an mehresten unterbrochen, wo nicht gar aufgehoben wird. Er lässet deswegen nicht nach, seine Sitten zu verbessern und die Menschen durch Gesälligkeit zu verbinden, obmann sich schon schwerlich untersehen würde, ihm dergleichen vorzuwerfen. Er rühmet sich niemals seiner Kunst und ist allezeit bey sich selbst überführet, daß man sich darauf nicht verlassen könne. Er gebrauchet sie so selten als nur immer möglich, wenn er sich ihrer aber bedienet, so geschiehet es nach reifer Überlegung und mit Nachrduck. Jedoch wird das Gegentheil dabey so viel möglich verschonet. Von Wunden und Narben ist er kein Verehrer, hält dieselben auch vor keine Merkmale einer Tapferkeit, sondern vor wahrscheinliche Zeichen, daß der Held der damit prahlet, entweder seinen Degen nicht verstehe, oder zu gewissen Zeiten sich außer Stand setze, denselben mit Vernunft zu gebrauchen. Man hört ihn niemals von seinen Tathen reden, er lässet sie lieber von andern erzehlen, wenn er ja Gelegenheit gehabt, sich ein und andere mahl zu zeigen. Mit einem Wort er führet sich allenthalben so auf, als wenn er den Degen nicht verstünde und seine äuserliche Ruhe durch die Anständigkeit der Sitten allein erhalten müste. Es ist ihm an aller angenehmsten, wenn die Wissenschaft den Degen zu
[Seite 31] zu gebrauchen ihn von dem würklichen Gebrauch befreyet. Er beschweret sich dannenhero nimahls über die ruhmwürdigen Absichten unserer Gesetzgeber, welche durch ihre weise Verfügungen die Selbstrache aus der bürgerlichen Gesellschaft zu verbannen beflissen sind. Er lässet in seinen äuserlichen Wesen noch weniger blicken, daß er dawieder bey Gelegenheit rebelliren wolle. Man kan weder aus der fürchterlichen Mine seines Gesichtes noch aus der übermäßigen Länge seines Degens noch auch aus der unzertrennlichen Dicke seiner Handschuh abnehmen, daß er mit den Duelledicten nicht zu frieden sey. Auf einen unbändigen Naturalisten, der mit allen denen Eigenschaften ausgerüstet ist, die wir oben angezeiget haben, siehet er mit einem inneren Mitleiden herunter. Jedoch erachtet er sich nicht eher befugt einen solchen zu recht zu bringen, und die, welche drücket, zu befreyen, bis er ihn dazu zwinget, da er sich dem freylich nicht entziehen kan, ein gutes Werk zu wagen und eine Einbildung zu zernichten, die sonst noch manchem unschuldigen gefährlich gewesen wäre.
Es mag dieser Abriß zugleich statt einer kurtzen Schutzschrifft wieder alle diejenigen dienen, welche sich angewehnet die Fehler der Jünger dem Meister und die Mißbräuche der Kunstverständigen, solten sie auch nur ihrer Meinung nach solche seyn, der Kunst selbst zuzuschreiben.
Wir werden die ersten seyn einen Fechter zu verdammen, welcher sich in dem gegebenen Bilde nicht geschildert siehet. Die mindeste Unähnligkeit, in sofern sie eine von den beschriebenen wesentlichen Eigenschafften betrifft, soll bei uns die Würkung haben, daß Wir
[Seite 32] Wir dem Original den Werth gewiß entziehen wollen, der ihm in diesen Blättern mögte beygeleget seyn. Denn je weniger wir unsern Fechter, wie die Stoicker ihren Weisen abgebildet haben, destomehr vermeinen wir befugt zu seyn, ein solches Urtheil über ihn zu fällen. Niemand kan sich mit der Unmöglichkeit, einer Ausflucht, die denen Stoischen Weltweisen der Billigkeit nach zu statten kommen muß, entschuldigen. Man würde eine unartige Partheylichkeit blicken lassen, wenn man ableugnen wolte, daß die Geschicklichkeit in der Fechtkunst einem übelgebildeten Gemühte nicht eben so schädlich sey, als einem verzweiflenden der Strick, und einem unverständigen Kinde ein spitziges Messer.
Daß aber dieses zufällige Ubel dem Wehrt der Fechtkunst so wenig Eintrag thue, als wenig es der Beredsamkeit zum Vorwurf gereichen kan, daß sie von einen bösen Willen zu einer Urheberin von unendlichen Unglück gemacht worden, solches ist schon oben erwiesen.
Die Haupteinwürfe sind nunmehro abgelehnet und der sichtbarste Gebrauch unserer Profeßion ist nicht mehr verborgen. Gleichwie aber sogar eine großentheils böse Sache wenigstens auf der einen Seite gute Folgen hat; also kan es im Gegentheil nicht fehlen, es muß auch die Fechtkunst, welche sittlich betrachtet, aus der Zahl der guten Fertigkeiten nicht verstossen werden kann, noch andere Vortheile, auser den obbeschriebenen, bey sich führen. Einige davon sind allgemein, andere aber kommen nur einigen zu statten. Unter die erste gehöret, daß sie damit verknüpfte Bewegung dem Körper gute Dienste thut, und die von einem
[Seite 33] einem guten Umlauff der Säfte fast gäntzlich abhangende Gesundheit dadurch auf eine merkliche Art befördert wird. Die den Wissenschaften ergeben sind haben insgemein wenig Gelegenheit in ihrem Geblüt eine gemäßigte Bewegung hervorzubringen. Viele unter ihnen fühlen die Würkungen dieser sitzenden Lebensart und bereuen öfters zu spät, daß sie den Cörper in eben der Proportion verdorben, als sie die Seele erbauet haben. Manche Gelehrte solte man fast vor Idealisten halten, die keinen Körper glauben und allein von der Existzenz ihres Geistes überzeuget sind, so wenig Sorge tragen sie vor die Wohnung ihrer Seelen, und so sehr sind sie auf die Erweiterung des Verstandes bedacht. Wer aber die genaue Verbindung des Leibes und der Seele eher glaubt, als er sie durch die schmerzhaften Emfindungen der Krankheit erfähret, wird mir gewis zugeben, daß eine Stunde, die man der Erhaltung des Leibes schencket, nicht übel angewendet sei. Ist man nun ein Liebhaber vom Fechten, so hat man dabey zugleich die Bewegung, wie es die Gesundheit erfordert, ohne daß man sich auf eine kostbahre Art die Gelegenheit dazu verschaffen darf.
Nächst dem bringet die Fertigkeit im Fechten dem ganzen Cörper ein Geschicke in allen Handlungen zuwege, dessen Abwesenheit uns öfters im gemeinen Leben höchst nachtheilig ist. Die meisten Menschen urtheilen nach dem Ausspurch ihrer Sinnen und der Schluß von der geschickten Bewegung der Glieder auf eine geschickte Seele ist gar gemein. Man unterwirft sich also der größten Gefahr, mit allen seinen guten Eigenschaften unerkandt zu bleiben, wenn man durch eine lächerliche Wendung der Stellung des Cörpers
[Seite 34] eine übele Vermuhtung wieder sich erwecket. Wenigstens kann es uns keine Hochachtung zu wege bringen, wenn wir bey unseren Beugungen alles, was nicht nied und nagelfeste ist, mit uns nehmen und zu Grunde richten. Die Höflichkeit, wodurch der Eigenthümer zurück gehalten wird, daß er die Schadloshaltung nicht von uns verlanget, ist sehr beschwerlich und gereichet uns gewiß zu keinen Vortheil. Wenn wir jemand so beschwerliche Bewegungen machen sehen, daß wir ihm gern mit allem Hebezeuge aus der Mechanick zu Hülfe kähmen, so schöpfen wir daraus kein Vergnügungen. Und sind wir noch dazu so grausam, daß wir in den Unvolkommenheiten anderer unserer Volkommenheiten bewundern; so pfleget insgemein eine Neigung dabey zu sein, das lächerliche des andern zu seinen Schaden anzuwenden, und da entstehet wiederum ein merkliches Ubel aus den versäumten Ubungen des Leibes. Die tägliche Erfahrung ist die beste Auslegerin dieser Lehre.
Auser diesen allgemeinen Vortheilen der Fechtkunst, werde ich noch als besondere, so nur bey gewissen Arten von Menschen sich äusern hierher setzen dörfen, daß sie erstlich furchtsame Leute wenigstens dahin zu bringen pflegt, daß sie den Mangel der Herzhaftigkeit nicht bey jeder Mine verrahten. Wer ohne Herz gebohren wird, der darf freylich durch die Fechtkunst kein Eisentreffer zu werden suchen, allein vielfältige Exempel bestätigen doch dieses, daß das Unanständige, welches aus der Furchtsamkeit in unser äuserliches einfliesset, dadurch verbannet werde. Der Anschein einer gesetzten Seele ist aber schon nützlich genug und wenn man diesen durch die Fechtkunst erwirbet; so solte ihr
[Seite 35] ihr Preis in diesem Stück wol satsam gegründet seyn. Eine gleich Würkung zeiget sie hiernächst bey schläfrigen und unbedachtsamen, deren Seelen in einem beständigen Schlummer zu seyn scheinen, indem sie dieselben aufwecket und ihnen diejenigen Eigenschaft des Gemühtes beyleget, welche die Franzosen prefence d´efprit zu nennen pflegen. Die Aufmerksamkeit wird ihnen durch das Rappier auf eine gar begreifliche Art eingepräget und der erste unvermuthete Stoß hat schon so viel Kraft, daß sie sich nach dem zweiten mit etwas mehr Überlegung umsehen. Wird diese Ubung nun unzählige mahl wiederholet, lernen sie dabey die Vortheile den ihnen zugedachten Stoß zu vermeiden, und merken sie endlich, daß es möglich sey, durch eine hinlängliche Vorsicht den mehresten zuvor zu kommen, so entstehet daher nicht allein bey dieser Ubung, sondern in allen ihren Handlungen, eine Aufmerksamtkeit und eine geschwinde Uberlegung der Mittel, welche man bei jeder vorfallenden Gelegenheit zur Hand zu nehmen hat.
Ich beruffe mich, was den Beweiß dieser Sätze betrift, auf die Erfahrung, und setze zum Beschluß noch kurtz hinzu, daß die Unwissenheit in der Fechtkunst in Geselschafen, wo davon geredet wird manchen nicht wenig verächtlich mache, daher gegen viele Exempel von solchen aufzubringen sind, die ihr Glück in verschiedenen Ständen der Fertigkeit im fechten zu danken haben.
Wenn das Fechten in einer Geselschaft der Vorwurf der Rede geworden, so wird man, wenn man es nicht verstehet, entweder ein verdriesliches Stilleschweigen annehen müssen, oder man wird davon nicht viel besser
[Seite 36] besser urtheilen, als ein ungelehrter von den Olympischen Spielen. Das erste kan ohne einen Ubelstand nicht wol geschehen, zu mahlen wenn man sonst gewohnt ist, eine Gaben nicht zu verheelen, das andere aber ist vollends das beste Mittel ungerechte Meinungen wieder uns zu erwecken. Ich begreife zwar sehr deutlich, daß die Unwissenheit in der Fechtkunst, weder ein Zeichen eines schlechten Verstandes, noch ein Beweiß eines in allen Stücken unbrauchbaren Menschen sey; Denn dieses würde ohne die gröste Unbescheidenheit nicht zu behaupten stehen. Allein ich rede nur von denen Geselschaften, welche aus solchen Mitgliedern bestehen, die diese Kunst zu ihrer hauptsächlichen Beschäftigung gemachet haben. Wenn diese ihren Verstand nicht so gut haben brauchen lernen, als ihren Degen, so will ich nicht gut davor sein, ob nicht zu weilen von einem unglücklichen Urtheil im Fechten auf eine gäntzliche Verfinsterung der Urtheilskarfft geschlossen werden dörfte.
Man gehet diesen bösen Vermuthungen nicht allein völlig aus dem Wege, sondern man beuget die Zuneigung anderer gewis auf sich herunter, wenn man so wol in Unterredungen, als in der That selbst zeigen kan, daß man die Kunst und deren Reguln gründlich verstehe.
Fehlt es uns an fremden Orten an einem Faden, wodurch wir einige honette und anständige Bekandtschaft erlangen können, so ist die Fertigkeit im Fechten zum öftern ein sehr bewährtes Mittel nicht nur die Bekandtschaft, sondern auch die Hochachtung angesehener Leute zu erwerben. Auf diese Weise wird die Fechtkunst nicht selten der Weg, der uns zu einem Glücke führet,
[Seite 37] führet, dessen wir gewis beraubet geblieben wären, dafern wird nicht eine Aufmerksamkeit auf und durch eben dies Mittel erreget hätten. Einem jeden kan ich diese Vortheile bey der Erlernung der Fechtkunst zwar nicht versprechen; denn darum habe ich sie mit aller Sorgfalt bloß zufällig ausgegeben: Allein, daß sie doch nicht idealisch und erdichtet sind, ist ebenfals auser Streit.
Hiermit beschliesse ich nun den ersten Theil meiner Vorrede, von dem Nutzen der Fechtkunst. Es sol mir nicht unangenehm seyn, wenn ich vernehmen werde, daß noch verschiedene wichtige hierher gehörige Vortheile meiner Aufmerksamtkeit entwischet sind.
Ich sehe lieber den Nutzen meiner Profeßion erweitert und ausgebreitet, als daß ich ihn um deswillen einzuschränken suchen solte, weil mir bey der gegenwärtigen Betrachtung nicht alles eingefallen. Ich bin völlig zu frieden, wenn ich zu wenig und aus Neigung zu dieser Kunst nicht zuviel gesaget habe, als wovor ich mich mit allen Fleiß in acht nehmen wollen.
Es ist nun an mir, daß ich dem geneigten Leser von den Eigenschaften meiner Anweisung einen Begirf machen und mein gefährliches Unternehmen, den Orden der Scribenten zu vermehren, verantworten sol. Auf einem inneren Beruf darf ich mich nicht steiffen, weil mir, die Warheit zu gestehen, das Verhängnis eines Schriftstellers jederzeit so hart vorgekommen, daß ich einen heimlichen Abscheu dagegen bey mir verspüret. Jedoch meine Rechtfertigung wird aus der Art und Weise, wie ich auf dies Unternehmen verfallen bin am besten erscheinen, welche ich zu dem Ende getreulich erzehlen will.
[Seite 38] Nachdem ich in der Fechtkunst so weit gekommen, daß ich das wahre von dem falschen, das geschickte von dem ungeschickten, das natürliche von dem unnatürlichen unterscheiden lernen, habe ich einen himmelweiten Unterschied zwischen den mancherlen Arten diese Kunst auszuüben gefunden. Ich hatte Gelegenheit verschiedene Methoden zu sehen, welche mir der, so ich vor die beste hielt, wenig Verwandschafft hatten Sie; fanden aber eben so wol Vertheidiger als die meinige und ich bemerkte, daß bey vielen das Urtheil über den Werth und Unwerth einer Methode mehr aus dem Eigennutz und dem Vorurtheil, als der Sache selbst genommen würde.
Wenn ich mich mit den Partisans von der, meiner Einsicht nach, verwerflichen Anleitung einließ und die Gründe ihrer Vertheidigung vernehmen wolte, bekam ich selten eine andere Antwort, als daß dieser und jener berühmte Fechtmeister in Paris, Florentz und wer weiß wo mehr, diese Methode hätte und seine Schüler darnach unterwiese. Wenn es hoch kam, so setzte man eine romanische Erzehlung von den Wundern, welche die Methode gethan, hinzu: Niemals aber wurde die Natur unseres Körpers und was dahin gehörig, zu Rathe gezogen. Es wurde mir sehr sauer, ich wil nicht sagen unmöglich, meine Vernunft in einer Kunst zu unterdrücken, wobey weder Wunder noch Zauberei zu finden, und ich konte mich nicht entschliessen, das Ansehen und den Ruhm der gepriesenen Urheber und Vertheidiger der falschen Anweisungen statt einer Abfertigung zu verehren. Ich bemühete mich daher die Reguln, besonders an denen Stellen, wo sie am meisten verschieden waren, nach der Natur der Sache selbst ohne
[Seite 39] ohne Absicht auf den Lehrmeister zu untersuchen, und es gereichte mir zu einer grossen Beruhigung, als ich deutlich einsahe, daß man die Falschheit der unrichtigen Methoden fast so klar machen könte, als eine Demonstration in den Wissenschaften. Die getreue und gründliche Anweisung meines Lehrmeisters auf der Jenaischen Universität, dessen Verdienste gegen mich, ich jederzeit mit herzlicher Dankbegierde verehren werde, hatten mich dazu geschickt gemacht. Auf diese Weise gelangete ich nun zwar vor mich zu einer Fertigkeit, das richtige und unrichtige in der Fechtkunst zu beurtheilen. Allein weil ich die Kunst nach ihren ganzen Umfange in einem ordentlichen Zusammenhange noch nicht entworfen, so merkte ich doch nicht wenige Schwierigkeiten, wenn ich diesen oder jenen von der Falschheit seiner Reguln überzeugen sollte. Am aller merklichsten habe ich dieses wahrgenommen, nachdem ich das ausnehmende Glück gehabt, in die Dienste meines allgernädigsten Königes auf unserm Göttingichen Musensitz aufgenommen zu werden; Denn gleichwie ich da verschiedene Herrn Scholaren vorfand, welche bereits anderer Unterweisung genossen, die von der meinigen in allen Stücken so gar in den Anfangsgründen abgieng; so konte es nicht anders seyn, ich muste mich bemühen, denselben von der Unrichtigkeit ihrer Reguln und Actionen einen ordentlichen Begrif zu machen, um sie dadruch von den unächten auf das ächte und wahre almählig herab zu führen. Da habe ich nun erst recht gespüret, was es vor Uberwindung kostet, wenn man einer falschen Kunst und zugleich dem eingebildeten Ruhm seines vorigen Lehrmeisters absagen und der Vernunft Gehör geben sol. Ich gestehe es
[Seite 40] es selbst, daß es eine unangenehme Sache sey, von seinem neuen Lehrmeister zu vernehmen, daß eine drey bis vierjährige Ubung, daß die darauff gewandten vielen Kosten, daß endlich die daher erwachsene gute Meinung von seiner Geschicklichkeit, wofern man anders etwas gründliches lernen wolle, aus dem Gemüht verbannet werden müssen. Es ist eben das Recht, womit der Scholar seinen neuen Lehrmeister eines Eigensinnes und Unverstandes beschuldiget, kraft dessen der Lehrmeister den Scholaren von der Falschheitseiner Reguln und Actionen überzeugen will. Der alte und neue Lehrmeister sind die streitenden Partheyen und der Scholar ist der Richter. Nach welchen Gründen sol dieser die Richtigkeit der gegen einander lauffenden Reguln beurtheilen? Sein voriger Lehrmeister hat ihm einen unfehlbahren Stoß, Volten, Paßaden, Rumpaden, Glißaden, Falcaden und wer weiß was mehr vor Kunststücke gelernet: Anitzo aber höret er von dem zweyten, daß dieses alles meistens nicht besser zu achten sey, als in der Medicin das trinkbare Gold, die Panaeeeni, das Seegensprechen und alle die Künste, womit die Marktschreier das gemeine Volk zu bezaubern pflegen. Es sind zwey Wege nach welchen diese Wiedersprüche beurtheilet und entschieden werden können. Man kan das Urtheil nach dem Ansehen und dem Ruhm der Lehrmeister sprechen, oder man kan die Natur der Sache selbst zur Richtschnur setzen. Es ist die Frage welchen von beyden der Scholar erwehlen wird. Den letzten kan er nicht erwehlen, weil ihn die vorige Anweisung davon so weit abgeleitet hat, daß er die Natur der Sache selbst gar nicht in Betrachtung ziehet; Mithin bleibt nichts anders übrig: Er wird den ersten
[Seite 41] sten Weg wandeln und seinen zweyten Lehrmeister mit allen seinen guten in der Natur und Mathematick gegründeten Reguln verdammen. Das Urtheil ist nach den gegebenen Umständen unfehlbar, und der in dem Hertzen des Scholaren verurtheilte neue Lehrmeister behält kein Mittel vor sich, als den Scholaren, wenn er ihn anders nicht von Grund an verlässet, nach und nach ans Helle zu bringen. Betrachtet man nun dabey, daß die Uberführung einmahl bey einem mit wiedrigen Vorurtheilen eingenommenen Gemühte ungemein schwürig, und dann die gewöhnliche Zeit, worin die Anweisung gegeben wird, sehr kurtz und zu ausführlichen Demonstrationen nicht zureichend ist; so wird man die Nohtwendigkeit leicht einsehen, worin ich gestanden, von den Gründen der Fechtkunst einen ordentlichen und zusammenhangenden Entwurf zu machen. Ich wäre dieser Arbeit gar gerne entlediget geblieben, dafern ich nur einen Vorgänger gefunden, welcher die ächten und wahren Gründe in behöriger Ordnung verfasset hätte: Ich habe zu dem Ende verschiedene Scribenten in allerhand Sprachen nachgelesen und in der Bücherhistorie dieser Kunst soviel möglich nachgeforschet, ob ich nicht mit diesem Versuche zu Hause bleiben könte: Allein meine Bemühungen sind vergeblich gewesen. Stat dieses nun durch eine Beurtheilung meiner Vorgänger zu erweisen, will ich dem geneigten Leser nur so viel zum voraus versichern, daß weder die in diesem Buche enhaltene Gründe, noch die ordentliche Verbindung derselben bey einem andern Scribenten anzutreffen seyn.
Es unterscheidet sich also diese Anweisung von andern eines theils durch die wesentlichen Grundsätze und Re-
[Seite 42] Reguln und andern theils durch den Vortrag, welcher ordentlich und niehmals ohne den nöthigen Beweis verfasset ist.
Von den Reguln an sich selbst behaupte ich, daß sie der Natur gemäs, ohnstreitig und unveränderlich sind, vermeine auch, daß ihre Vorzüge vor andern, besonders den Maximen der Frantzösischen Fechtschule, in dem Buche selbst unwiedersprechlich gezeiget werden. Der gute Geschmack in der Fechtkunst richtet sich wie in allen andern Wissenschaften und Künsten blos nach der Natur. Die Mode und die Gewohnheit tyrannisiret zuweilen zwar ein zeitlang; allein das natürliche behält doch bey vernünftigen den Preis.
Man erwartet demnach von dem verstängidem Leser das Urtheil, ob unsere Anleitung, die der Natur ohn allen Dunst und Schminke folget, oder die Reguln des Frantzösichen oder der daher abstammenden Fechtbodens, so mit lauter unnatürlichen und ihrer Art nach gekünstelten Ausschweifungen prangen, den Vorzug behalten solle? Es sind zu dem Ende unsere Gründe zuförderst in einer natürlichen Folge ohne alle Schminke vorgetragen und demnächst hat man die wiedrigen Maximen, welche in das unnatrüliche und falsche fallen, dagegen gehalten und beydes ohne Biterkeit geprüfet.
Der Vortrag richtet sich wie die Reguln selbst nach der Natur und verbindet die Reguln so wie sie auseinander begriffen werden. Man hat auf dieses Art das undeutliche so wol als das seichte zu vermeiden getrachtet und den Leser verhoffentlich in den Stand gesetzet, auf eine gewisse Art von der Wahreit und dem
[Seite 43] dem Werth unserer Grundsätze und Reguln zu urtheilen. Die beigefügten Kupfer werden auch zur Erläuterung vieles beytragen, maßen wenigstens die Hauptsachen durch diezugegebene Figuren deutlich gemachet sind. Man bedauret zwar, daß die Vorstellung in den Bildern sich so völlig nicht ausdrücken lässet, wie man es wol wünschet und wie man es auf dem Boden zeigen kan: Wer aber das Buch selbst genau einsiehet und die Kupffer sorgfältig dagegen hält, wird uns doch völlig beurtheilen und verstehen können.
Die Vortheile, welche man durch die Herausgabe dieses Werkchens zu erlangen hoffet, sind nicht geringe: Denn einmahl werden meine Herren Scholaren, so vorher nach andern Gründen unterrichtet worden, die Richtigkeit und den Vorzug der unsrigen von selbst einsehen, ohne daß man bey der Lection durch zeitverderbliche Wiederlegung der falschen Reguln und Actionen sich wird aufhalten dörfen.
Zweytens werden diejenigen, welche nach keinen andern als diesen Gründen angeführet sind, ihre Begriffe wie deutlicher und die Wiederhohlung der gehabten Lectionen weit leichter machen.
Drittens wird ein jeder der das Fechten noch nicht gelernet hat, durch Lesung dieses Buches geschickt von der Wahl eines Lehrmeisters zu urtheilen, damit er sich nicht jedem Windmacher und Charlaten anvertraue, bei ihm Zeit und Geld vergeblich verschwende und zu seinen eigenem Verderben etwas lerne.
Ja wer auch schon aus den Jahren heraus ist, darin man sich der Unterweisung auf dem Fechtboden, zu untergeben pfleget, und dabey das Unglück gehabt hat, nach einer falschen Methode geführet zu werden wird
[Seite 44] wird in diesen Blättern nicht allein Gelegenheit finden seine Irthümer einzusehen sondern sie auch durch eigene Ubung verbessern.
Man hoffet diese Vortheile um desto gewisser zu stiften, als die gantze Kunst auf vernünftigen Gründen beruhet, deren Werth oder Unwerth durch einen richtigen Gebrauch des Verstandes eben so gut, als in andern Disciplinen entdecket wird.
Man erwartet dannenhero diese Würkungen nur bey solchen, welche von dem Vorurtheil entweder nicht gefesselt sind, oder doch Stärke genug haben, sich davon loszureißen. Die, deren Eigennutz hierdurch beeinträchtiget wird, sind unheilbar, weshalb man sich um deren Verbesserung keine Mühe geben wird. Unsere Arbeit wird satsam belohnet sey, wenn nur unpartheysche und Wahrheitsliebende Leser ihren Geschmack in der Fechtkunst durch diese wenige Bemühungen reinigen. Man ist den unmöglichen Absichten sehr gehäßig und kan es im Gegentheil gar wol vertragen, wenn andere deren Nutzen darunter stecket, wieder unsere Reguln, ja wieder die Natur selbst sich erklären.
Solten aber vernünftige und des Werks verständigen an dieser Arbeit, etwas zu verbessern und zu ändern finden, so werden Sie mich durch eine gütige Anweisung mehr verbinden, als wenn sie mir aus Höflichkeit ihren Beyfall gönneten und mich in dem Irthum stecken liessen. Der Menschheit bin ich mir volkommen bewust und ich würde eine sehr schwache Einsicht verrahten, wenn ich dem geneigten Leser mit Zuversicht beybringen, wolte
[Seite 45] wolte, daß meine Gedanken und Schlüsse keinen Fehlern unterworfen wären. Die Wissenschaften und Künste sehe ich als allgemeine Pflantzgarten an, woran das gantze menschliche Geschlecht und zwar ein jeder nach seiner Fähigkeit und Neigung arbeiten soll. Die Früchte daraus sind allgemein, es hat ihn keiner allein gepachtet. Und daher soll sich auch ein jeder freuen, wenn er zu dessen Anbauung etwas beytragen kan. Niemand wird sich nach diesen Begrif einfallen lassen, die guten Früchte um deswillen zu verwerfen, weil er sie durch seine Arbeit nicht allein hervorgebracht, sondern andere mit daran geholfen haben. Es ist mir unmöglich jemand zu beneiden, der in diesem Garten mit mir einerley Beschäftigung zu meiner und des gantzen menschlichen Geschlechtes Aufnahme und Vergnügen übernommen hat. Ich werde mich mit ihm vergnügen, wenn er eine bessere Art der Anbauung, als ich bisher gewust, erfunden hat, und seine Erfindung mir und andern nützlich machen. Ein gleiches hoffe ich von meinen Mitarbeitern, und bin daher bey meinen Bemühungen, weil sie aus redlicher Absicht herfliesen, vollkommen ruhig. Ich werde diese Meinungen, daß sie ernstlich sind, durch die Erfahrung bestätigen.
Von dem geneigten Leser verlange ich nichts mehr, als daß er in Ansehung meines guten Willens mich mit der Bescheidenheit beurtheile, womit ich ihm begegnen würde, wenn er in meiner Stelle stünde. Ob dieses Werkchen seinen Beyfall verdiene und ich daher keine vergebliche Arbeit unternehmen würde, wenn ich diese Anfangs Gründe durch Ent=
[Seite 46] Entwerfung mehrer Theile vermehren wolte, das kan ich nicht beurtheilen. Die gütige Aufnahme dieser Blätter soll mir desfals zur Anzeige dienen und die aufrichtigen Urtheile der Kunstverständigen werden davon den Ausschlag geben. Ich erwarte beydes mit einer Gleichgültigkeit, welche durch die Erinnerung der dabey geführten aufrichtigen Absicht unterstützet wird, als weswegen ich mir die Gewogenheit des geneigten Lesers, der ich mich hiemit bestens empfehle, nicht unbillig verspreche.
Geschrieben
Göttingen den 20. Mertz
1739.
der Verfasser.