Montag, 26. November 2012

„her hat manche lant durchfaren vnd gesucht" - Ein Interview mit Marcus Hampel über das Projekt swordsurfing.com

Fechter der Vergangenheit erlernten oder verfeinerten ihr Handwerk nicht selten auf ausgedehnten Reisen. Bereits die Hs. 3227A – datiert auf das Ende des 14. Jahrhunderts – schreibt über den Fechtmeister Johannes Liechtenauer: „her hat manche lant / durchfaren vnd gesucht / durch der selbn rechtvertigen vnd warhaftige kunst wille / das her dy io irvare vnd wissen welde“. Wir kennen viele weitere Beispiele dafür. Die Marxbrüder reisten durchs Land und einmal im Jahr zu ihrer großen Versammlung nach Frankfurt an den Main. Johann Georg Paschen kam in den Sächsischen Fürstentümern und Mecklenburg umher. Joachim Meyer und Jéann Daniel L'Ange bereisten Italien. Und Johann Andreas Schmidt verschlug es ans Islemeer nach Amsterdam. Um nur einige zu nennen.

Auch heute nehmen die Fechter der historischen Europäischen Kampfkünste weite Strecken auf sich, um voneinander zu lernen. Europaweite Veranstaltungen haben sich etabliert und füllen regelmäßig die großen Sporthallen von Wien, Dijon oder beim Schwedischen 'Swordfish'. Auch im kleineren Rahmen sind Trainingsbesuche der verschiedenen HEMA-Gruppen untereinander längst Normalität.
Hier setzt swordsurfing.com an. Dem modernen Fechter will es in naher Zukunft eine Internetplattform bieten, auf der er seine Reisen zu Trainingsgruppen in andere Städte oder Länder verabreden und organisieren kann. Um die Idee hinter swordsurfing.com zu zitieren: "trainieren, sich treffen, Kontakte knüpfen und  pflegen“. Fechtgeschichte sprach mit Marcus Hampel, dem Initiator des ambitionierten Projekts.

Fechtgeschichte: Wird Swordsurfing.com ein Facebook für historische Fechter werden?

Marcus Hampel: Definitiv nein, so etwas ist nicht beabsichtigt. Es wird vielmehr eine Plattform werden, die bestehende Medien ergänzen wird. Die großen, bekannten Web 2.0-Anwendungen wie Facebook oder Twitter sind super, um auf unterschiedlichste Art und Weise in der virtuellen Welt in Kontakt zu bleiben und Informationen auszutauschen. Wenn es aber zu konkreten Verabredungen zum Training kommen soll oder man einen speziellen Trainingspartner oder -platz sucht, dann sind sie alle gleich: über Suche, private Nachrichten und Email nähert man sich sehr mühsam an Termin, Ort und Trainingsumstände an. Und zu denen gehört auch die Übernachtung. Und an dem Punkt setzt Swordsurfing.com an. Wer dort mitmacht, ist daran interessiert, andere Fechter zu beherbergen, sie selber zu besuchen und mit ihnen zu trainieren. Swordsurfing.com ist quasi die Verbindung von Virtuell zu Reell. Und über Schwertkampf kann man bekanntlich viel sprechen, besser ist aber das Machen. Das wird durch Swordsurfing.com viel einfacher werden.

Fechtgeschichte: Wie ist die Idee zu Swordsurfing.com entstanden?

Marcus Hampel: Die Idee ist langsam gewachsen. Am Anfang stand eine kurze Zeit, in der ich quasi obdachlos war. Das war im August 2008. Meine damalige Freundin und ich hatten uns getrennt und ich war nur mit meiner Fechttasche und meinen Schwertern im Auto im Rheinland unterwegs und pendelte täglich zwischen meiner Arbeitsstelle und den Wohnungen und Häusern von Freunden. Einige von ihnen sind auch historische Fechter und so hatte ich in der Zeit mehr Training als je zuvor. Eine tolle Zeit! Ich war etwas traurig, als sie vorbei war. Im Jahr 2010 und 2011 habe ich dann mit Freunden zwei Fechttouren unternommen, die eine durch Deutschland, die andere durch Schweden. Beide Male hat es uns viel Planungsaufwand gekostet, die verschiedenen Gruppen überhaupt zu finden, sie anzuschreiben und mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Es hat sich zwar gelohnt, denn am Ende haben wir zusammen fast zwanzig Vereine besucht und viel gelernt, erlebt und neue Freunde kennen gelernt. Aber etwas einfacher hätte es schon sein dürfen. 2012 habe ich dann etwa ein halbes Dutzend Fechter über das Jahr bei mir in Hamburg empfangen. Hier das gleiche Bild - viel Spaß und Training, aber auch viel Planung im Vorfeld. Man muss so viel bedenken, wenn man jemanden einlädt.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass sowohl unsere Gastgeber als auch meine Gäste begeistert waren. Die Idee, andere Schwertkämpfer zu treffen, bereitete viel Freude. Aber meine Schilderung, wie viel Aufwand es teilweise war, welche Unklarheiten zum Teil bis kurz vor dem jeweiligen Treffen bestanden und welche Zufälle nötig waren, schreckten doch Einige ab. Und mehr als nur einmal wurde ich gefragt, ob ich meine Tipps aufschreiben oder einen Service anbieten könne, der meine Erfahrungen abbildet. Swordsurfing.com wird exakt das tun.

Fechtgeschichte: Welche Möglichkeiten wird Swordsurfing.com bieten?

Marcus Hampel: Ein ganz zentraler Bestandteil werden die unterschiedlichen Profile sein. Ein generelles Profil wird Daten wie Name, Alter, Sprache und Ähnliches enthalten. Diesen Teil kennt man von so ziemlich jedem Account bei allen Plattformen. Ein Gastgeberprofil wird beschreiben, was man anbietet, also was der Gast erwarten kann. Das sind neben einem Schlafplatz auch weitere alltägliche Dinge wie etwa, ob im Haushalt Kinder willkommen sind, ob es Haustiere gibt und ob man Dinge wie Küche und Waschmaschine mit benutzen kann. Ein Anfrageprofil regelt, welche Gastgeber man ansprechen, bzw. von welchen Gastgebern man eingeladen werden möchte. Das kann wichtig sein, wenn man z.B. gern mit Kindern oder bei (Nicht-)Rauchern unterkommen möchte. Oder ob man einfach nur einen Kontakt in der Nähe sucht und keine Fernreise unternehmen möchte. Der wichtigste Teil ist aber das Kämpferprofil. Dort werden die speziellen Schwertkampfwünsche berücksichtigt. Das sind viele, wie z.B. “Welche Waffe trainiere ich, an welcher Waffe bin ich interessiert? Möchte ich lehren oder lernen? Bin ich eher auf Training, Freikampf oder Interpretation aus? Welche Quelle lege ich meiner Arbeit zugrunde?” und noch einiges mehr. Wenn nun die eine oder andere Seite einen Trainingspartner gefunden hat, dann wird man mit wenigen Klicks eine Anfrage starten und eine Zusage erteilen können. Sensible Daten wie Adresse und Telefonnummern können in diesem Schritt dann offen gelegt werden, zuvor sind sie geschützt. Das ist im Wesentlichen der Kern der Idee. Weitere Funktionen werden durch eine saubere Architektur problemlos einführbar sein, denn wir wollen Swordsurfing.com möglichst zukunftssicher aufbauen. Im Übrigen, wir werden im ersten Schritt alles in englischer Sprache verfassen. Meine Erfahrung zeigt, dass viele Fechter gutes Englisch sprechen und wir mit lokalen Varianten erst beginnen sollten, wenn die Plattform anständig läuft.

Fechtgeschichte: Swordsurfing.com soll über eine Fundraising-Kampagne finanziert werden. Wie stehen derzeit die Chancen, das Projekt auf diesem Wege zu realisieren?

Marcus Hampel: Gut! Das liegt daran, dass wir in Kürze damit beginnen werden, erste Schritte für das bereits gesammelte Geld zu gehen und damit zeigen können, was wir planen. Je konkreter es wird, desto höher wird die Spendenbereitschaft werden, da bin ich mir sicher. Mein großer Dank gebührt den Spendern, die bereits jetzt großes Vertrauen in meine Idee, mein Team und mich bewiesen und äußerst großzügig gespendet haben. Sie machen es möglich, dass ich so guter Dinge bin. Weiteren Spendern möchte ich einen kleinen Anhalt geben, was sie durch eine Spende ermöglichen. Eine Übernachtung in einer europäischen Großstadt kostet momentan minimal EUR 60,00. Die Vermittlung einer Übernachtungsmöglichkeit über Swordsurfing.com ist komplett gratis. Wenn die Idee wirklich gut ist und wirklich gebraucht wird, dann werden wir die rund 6.300 EUR für den Start und die 500,00 EUR für den jährlichen Betrieb zusammenbekommen. Da bin ich mir sicher."

Fechtgeschichte: Du erwähnst eine jährliche Finanzierung auf Spendenbasis. Ist für euch eine zukünftige Finanzierung des  Projektes auch über Werbung oder Sponsoring denkbar?

Marcus Hampel: Nein, es wird weder Sponsoring, noch gekaufte Werbeplätze geben, was zum Schluss sowieso das Gleiche ist. Erfahrungen, die ich bei der Suche nach Sponsoren für andere Projekte gemacht habe, zeigten mir, dass anfänglich immer alles ganz freundschaftlich und gönnerhaft betrachtet wird. Nach spätestens einem Jahr aber kommen doch Reichweitendiskussionen und “Return on Invest”-Themen auf den Tisch. Klar, diese kann man durch den Einsatz von Monitoringtechniken und gutem Controlling belegen. Aber mal ganz ehrlich, wird dadurch auch nur ein Schlafplatz für ein Training vermittelt? Wollen historische Fechter wirklich von ihrem Geld eine Controllingmaschine gefördert wissen? Ich glaube nicht. Vielmehr gibt es viele andere spannende Ideen, die durch den Paradigmenwechsel Web 2.0 möglich werden. Wenn man genau betrachtet, wer warum welches Interesse an der Plattform haben könnte, dann gibt es viel Stoff für weitere Ausbaustufen. Vereine, Schulen und Events und vielleicht sogar die Hersteller von Fechtmaterialien könnten eine Möglichkeit bekommen, mitzumachen. Auf “Mitmachen” liegt die Betonung. Und dann werden sie wie jeder Swordsurfer Zusprache, gute Bewertungen und Nachfrage erfahren können. Oder eben aber nicht, wenn ihre Angebote nicht in die Szene passen. Da ich fest glaube, dass die Zeit der einseitigen Kommunikation seit Web 2.0 vorbei ist, glaube ich auch, dass es bei Swordsurfing.com nur einen Kommunikationsweg, das Mitmachen, geben sollte. Es soll wie in unserem Hobby zugehen, das wir genau aus diesem Grunde auch so schätzen: Mit dem Schwert in der Hand sind alle gleich, man muss jeden Gegner ernst nehmen. Diejenigen, denen dies etwas wert ist, werden angemessen spenden, egal ob Person, Gruppe, Verein, Schule, Eventausrichter oder Hersteller. Da bin ich mir sicher.

Fechtgeschichte: Wo wird Swordsurfing.com in 3 Jahren stehen?

Marcus Hampel: In drei Jahren werden wir Swordsurfing.com zum einen technisch immer weiter ausgebaut haben. Schon jetzt haben wir rund ein Dutzend sehr guter Ideen in der Szene gesammelt, die wir noch umsetzen wollen. Das sind zum Teil echte Juwelen, die wirklich kein anderer Service bieten kann. Über Themen wie persönliche Sicherheit auf Reisen bis hin zu Vertrauenskonzepten und Anbindungen zu mobilen Geräten sind sehr spannende Dinge mit dabei. Wir selber haben eine Wunschliste von ebenfalls einem weiteren Dutzend abgesegneter Ideen. Ganz oben steht die Umsetzung meiner Erfahrungen, um den Komfort noch zu steigern. Zum anderen werden wir versuchen, Swordsurfing.com in eine Stiftung zu verwandeln. Swordsurfing.com wird dadurch eine eigenständige, juristische Person werden, die auch über das Leben der Gründer hinweg unabhängig bestehen bleiben wird. Swordsurfing.com ist nicht dazu gedacht, irgendjemanden reich zu machen, sondern soll unser Hobby, den Schwertkampf, optimal unterstützen. Austausch ist wichtig, um uns alle in unserem gemeinsamen Hobby voranzubringen. Darauf arbeite ich hin. Über den Start des Projektes hinaus möchte ich im Moment noch nicht langfristig weiterplanen. Denn erst einmal ist es wichtig, dass wir die nötigen Mittel für den ersten Schritt zusammen bekommen. Wenn alles gutgeht, dann können wir im Sommer 2013 weitere Schritte konkret bekannt geben.

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