Mittwoch, 3. Juni 2015

Das Fechten als Exercitium in August Bohses "Der getreue Hoffmeister adelicher und bürgerlicher Jugend " (1706)

von Jan Schäfer

August Bohse (1661-1740; biographisches u.a. bei Flemming, Willi, "Bohse, August" in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 422 f. [Onlinefassung]) schrieb seine Ratschläge für das angemessene soziale Verhalten des Adeligen und Bürgerlichen in einem Buch nieder, das 1706 unter dem Titel
Der getreue Hoffmeister adelicher und bürgerlicher Jugend oder Auffrichtige Anleitung, wie so wohl ein junger von Adel als anderer, der von guter Extraction, soll rechtschaffen aufferzogen werden / er auch seine Conduite selbst einrichten und führen müsse / damit er beydes auff Universitäten / als auf Reisen und Hofe / sich beliebt machen / und in allerhand Conversation mit Manns=Personen und Frauenzimmervor einen klugen und geschickten Menschen passiren möge. Allen denen / so Tugend und Ehre lieben / zu verhoffenden Nutzen an das Licht gegeben [Digitalisat im Münchener Digitalisierungszentrum - Digitale Bibliothek]
in Leipzig bei Johann Ludwig Gleditsch erschien. Zum Fechten äußert er sich an zwei Stellen im Buch: in Kapitel 5 "Von der Aufführung eines jungen Menschen auff Universitäten" und in Kapitel 8 "Von denen Exercitien / als Fechten / Tantzen / Reiten etc.".

Der Text
[Seite 137] § 46. Sonsten aber hüte sich ein Studiosus vor starcker Gesellschaft / und mache sich ja mit keinem zu familiar, ehe daß er von andern schon gehöret / ob er von einer manierlichen und honoêtten Aufführung sey. Insonderheit bleibe er aus Schläger=Compagnien; sie suchen ihn nur in Händel zu bringen / und daraus ihren Gewinst zu ziehen. Er höret auch darunter wenig vom Studiren oder solchen Sachen reden / die ihm könten Nutzen schaffen; Sondern da seynd eitel Actionen auff dem Tapet, und lauter Discourse von Bravheit / von Attaqviren / von Raison, von Revange, von Avantage der Schlagenden / und dergleichen Siebensachen; welches alles / wie weit es hernach dessen Fortun befördere / der sonst von nichts als von dergleichen auff Universitäten Profession gemacht / man deren Bekäntniß anheim stellet / und ihr Glück nur dadurch / und sonst durch nichts anders zu suchen wissen.

[Seite 138] § 47. Doch verachte man darum nicht den Fecht=Boden / sondern freqventire denselben täglich eine Stunde / damit man lerne seinen Leib defendiren / wenn unruhige Köpffe mit einem nicht Friede halten wollen / sondern Stänckereyen anfangen / und man mit ihnen in Gesellschaft oder auf der Strassen in zugenöthigte Händel geräth. Da lasse man sich nicht feige finden / sondern wehre sich mit einer guten Resolution, indem man auch durch das Recht der Natur zu der Vertheidigung sein selbst verbunden ist / wann einen ein Frevel anfällt. Allein ist man gleich glücklich gewesen / so suche man doch davon keinen grossen Ruhm zu machen / und hier und dar den Discours davon zu formiren. Vielweniger gewöhne man sich das an / daß man den gantzen Vormittag auff dem Fecht=Boden liegen und die nöthigen Collegia darüber versäumen wolle. Denn wenn einer auch den geschicktesten Degen fechten lernet / und kan sonst nichts; so wird es ihm mehr schaden / als nutzen. Denn dergleichen allzugute Fechter werden gemeiniglich dadurch hochmüthig / eigensinnig und zänkisch / und führen eine solche

[Seite 139] che Conduite, welche eurisch / und bey Leuten / die sonst zu leben wissen / unangenehm ist; auch damit sie ausser Universitäten / und wenn sie nunmehr mit andern Leuten / als mit Studenten / umgehen sollen / gewißlich nicht fort kommen.

[Seite 319] § 8. Was das Fechten belanget / so ist dieses ein recht schönes und edles Exercitium; esbefördert die Tapfferkeit; macht einen jungen Menschen munter / auch daß er sich so leicht vor keiner Gefahr scheuet / und ist der Gesundheit dienlich / wofern es mit den Massen tractiret wird; auch soll zumal ein Junger von Adel sich darauff legen / damit er desto ehe seine Ehre defendiren kan / wenn ein Frevler dieselbige antastet. Denn er wird gleichsam mit dem Degen an der Seite gebohren / welchen er zu Beschützung dersleben und des Vaterlandes billich soll zu führen wissen.

§ 9. Allein der Mißbrauch ist hierinnen auch höchst verdammlich. Eine Stunde täglich auff diese Ubung zu wenden / dieses gehet vor einen jungen Edelmann oder auch vor einen Bürgerlichen / welcher die Jura oder Medicin studie=

[Seite 320] studiret / wol hin: Aber alle Tage ein drey Stunden auff dem Fecht=Boden zu liegen / und die schönste Zeit / als von neun biß zwölff Uhr vormittages / da er biß gegen eilffen die besten Collegia noch abwarten könte / darauff zu wenden / dieses ist gar nicht zu billichen / und wird einer / wenn er erstlich von Universitäten kömmt / solchen Zeit=Verlust zu späte bereuen. Ich geschweige / wie mancher sich / der allzustarck diesem Exercitio oblieget / die Schwindsucht an den Hals ficht / und zum ungesunden Menschen darüber wird / daß er deßwegen Zeit Lebens an sich muß curiren lassen: Oder daß er auch gar noch auff Universitäten deßwegen schlaffen gehet / und sich muß lassen zu Grabe tragen.

§ 10. Danebst lasse ich es der Wahrheit zu urtheilen anheimgestellet / ob nicht gemeiniglich einen allzugeschicken Degen fechten viel der guten Conduite, die doch bey einem jungen Maneschen allerdings seyn soll / Schaden thut. Denn solche Leute verlassen sich meist darauff; werden trotzig und grob; sehen alle Leute sauer an / als ob sie solche den Augenblick

[Seite 321] blick mit der Hosen und Wams wolten verschlingen; wollen gleich mit der Fuchtel heraus; suchen ihre falsche Renommée in unbedachtsamen Duelliren; werden zänkisch / und können ohne Händel nicht leben; darüber sie bey aller honêtten Welt sich prostituiren / und man sie vor Leute hält / welche wenig gesundes Nachsinnen haben; versäummen ihr Studieren; bilden sich in vielen Dingen eine ungegründete Raison ein / und richten offt so viel Unglück an / darüber die besten Familien seuffzen; sie aber selbst ihre zeitliche / ja wohl ihre ewige Wohlfarth verschertzen.