von Jan Schäfer
In der Balletkomödie „Der Bürger als Edelmann“ (Molière/Lully, 1670) geben sich im zweiten Akt die einzelnen Exericitenmeister bei dem Pariser Bürger Monsieur Jourdain mit ihren Unterrichtsstunden die Klinke in die Hand, was nicht ohne Konflikte abläuft. In Akt 2 unterrichten zuerst Musik- und Tanzlehrer, ehe in der zweiten Szene der Fechtmeister die Bühne betritt.
Zweite Scene
Die Vorigen (Anm.d.Red.: Monsieur Jourdain, Musiklehrer, Tanzlehrer, Lakaien)
Fechtlehrer (nachdem er Jourdain zwei Rappiere* in die Hand gegeben). Allons, mein Herr, die Reverenz! Den Körper gerade, ein wenig auf den linken Schenkel geneigt; die Beine nicht so weit auseinander; die Füße auf derselben Linie. Das Handgelenk der Hüfte entgegen; die Spitze Ihres Degens** Ihrer Schulter gegenüber; den Arm nicht ganz so gestreckt; die linke Hand in der Höhe ihrer Augen; die linke Schulter breiter; den Kopf gerade, den Blick sicher. - Vorwärts! - Den Körper fest. Stoßen Sie die Quart und gehen Sie in derselben Parade*** zurück. - Eins! Zwei! - Ausgelegt! Noch einmal, mit festem Fuß****. Eins! Zwei! - Einen Sprung zurück. Wenn Sie den Stoß führen, mein Herr, so muß der Degen zuerst vor und der Leib wohl gedeckt seyn. Eins! Zwei! - Ziehen Sie eine Terz an und stoßen Sie dieselbe vorwärts. Den Körper fest. - Vorwärts. Ausgefallen! Eins! Zwei! - In die Auslage. Noch einmal. - Einen Sprung zurück. - Deckung, mein Herr, Deckung! - (Bei dem Wort "Deckung" versetzt er ihm mehrere Stöße.)
Jourdain. Oh!
Musiklehrer. Höchst bewunderungswürdig.
Fechtlehrer. Ich habe es Ihnen schon gesagt, das ganze Geheimnis der Fechtkunst beruht nur auf zwei Dingen: auszutheilen und nicht zu bekommen. - Auch ist es, wie ich Ihnen neulich mit demonstrativen Gründen zeigte, unmöglich, daß Sie etwas bekommen, wenn Sie den Degen Ihres Gegners von der Linie Ihres Körpers abzuhalten wissen; das hängt nur von einer kleinen Bewegung des Handgelenks nach außen oder nach innen ab.
Jourdain. Auf diese Weise ist ein Mann, ohne Herz zu haben, sicher, seinen Mann zu tödten und nicht getödtet zu werden?
Fechtlehrer. Allerdings. - Haben Sie nicht die Demonstration davon gesehen?
Jourdain. Ja.
Fechtlehrer. Daraus sieht man auch, welche Bedeutung wir in einem Staate haben müßten, und wie die Fechtkunst offenbar den Sieg davon trägt über alle anderen und unnützen Wissenschaften, wie die Tanzkunst, die Musik, die -
Tanzlehrer. Sachte, mein Herr Fechtmeister! - Sprechen Sie von der Tanzkunst nur mit Respekt.
Musiklehrer. Lernen Sie, ich bitte Sie, die Vortrefflichkeit der Musik besser schätzen.
Fechtlehrer. Sie sind wunderliche Leute, daß Sie Ihre Wissenschaften mit der meinigen vergleichen wollen.
Musiklehrer. Seht einmal den wichtigen Mann!
Tanzlehrer. Das ist ein merkwürdiges Tier mit seinem Brustlatz.*****
Fechtlehrer. mein kleiner Tanzmeister, ich werde euch tanzen lassen, wie sich's gehört, und Ihr, mein kleiner Musikant, Ihr sollt mir hübsch singen.
Tanzlehrer. Mein Herr Eisenfresser, ich werde Euch Euer handwerk lehren.
Jourdain (zum Tanzlehrer). Sind Sie närrisch, daß Sie mit ihm Streit anfangen, der sich auf die Terz und die Quart versteht und einen Menschen aus demonstrativen Gründen zu tödten weiß.
Tanzlehrer. Er kann mir gestohlen werden mit seinen demonstrativen Gründen und seiner Terz und seiner Quart.
Jourdain. Sachte, sachte!
Fechtlehrer. Wie? Kleiner Unverschämter!
Jourdain. Halt, mein Fechtlehrer!
Tanzlehrer. Wie? Großes Kutschpferd!
Jourdain. Halt, Herr Tanzlehrer!
Fechtlehrer. Wenn ich mich auf euch werfe -
Jourdain. Sachte, sachte!
Tanzlehrer. Wenn ich die Hand an Euch lege -
Jourdain. Ruhig, ruhig!
Fechtlehrer. Da will ich Euch striegeln auf eine Weise -
Jourdain. Bitte, bitte!
Tanzlehrer. Da walk' ich euch in meiner manier -
Jourdain. Ich bitte Sie!
Musiklehrer. Lassen Sie uns nur ein wenig ihm das Reden lehren!
Jourdain. Gott, halten Sie ein! –
Dritte Scene.
Die Vorigen. Der Lehrer der Philosophie.
Jourdain. Heda, Herr Philosoph! Sie kommen gerade gelegen mit Ihrer Philosophie. - Stellen Sie doch ein wenig den Frieden her zwischen diesen Personen.
Philosoph. Was gibt es denn? Was haben Sie, meine Herren?
Jourdain. Sie haben sich so sehr erzürnt über die Vortrefflichkeit ihrer verschiedenen Professionen, daß sie sich Grobheiten sagen und handgemein werden wollen.
Philosoph. Eh, meine Herren, darf man so heftig werden? Haben Sie nicht die gelehrte Abhandlung gelesen, welche Seneca über den Zorn geschrieben hat? Gibt es etwas Niedrigeres und Schimpflicheres, als diese Leidenschaft, die aus einem Menschen ein wildes Thier macht? - Muß denn nicht die Vernunft die Herrin aller unserer Handlungen seyn?
Tanzlehrer. Aber, mein Herr, er sagte uns beiden Beleidigungen, indem er die Tanzkunst verachtet, die ich ausübe, und die Musik, die der Beruf dieses Herrn ist.
Philosoph. Ein Meister ist erhaben über alle Beleidigungen, die man ihm sagen kann; und die große Antwort, die man auf Schmähungen geben muß, ist Mäßigung und Geduld.
Fechtlehrer. Sie haben beide die Verwegenheit, ihre Professionen mit der meinigen vergleichen zu wollen.
Philosoph. Darf das Sie aufbringen? Nicht um eitlen Ruhm und Stand sollen die Menschen mit einander streiten; denn was uns vollkommen von einander unterscheidet, ist die Weisheit und die Tugend.
Tanzlehrer. Ich behaupte gegen ihn, daß die Tanzkunst eine Wissenschaft sey, der man nicht genug Ehre zeigen kann.
Musiklehrer. Und ich, daß die Musik eine Wissenschaft ist, die alle Jahrhunderte verehrt haben.
Fechtlehrer. Und ich behaupte gegen Beide, daß die Kunst, die Waffen zu führen, die schönste und nothwendigste aller Wissenschaften sey.
Philosoph. Was soll denn aber die Philosophie seyn? Ich finde euch alle drei sehr impertinent, vor mir mit solcher Arroganz zu reden, und Dingen, die man nicht einmal Kunst nennen sollte, den Namen Wissenschaft zu geben; Dinge, die man nur mit dem Namen des erbärmlichen Gewerbes des Dichters, des Bänkelsängers, und des Tänzers belegen kann.
Fechtlehrer. Fort, Hunde-Philosoph!
Musiklehrer. Fort, pedantischer Philister!
Tanzlehrer. Fort, Erz-Schulfuchs!
Philosoph. Was! Ihr Schlingel, Ihr!
(Er wirft sich auf sie; sie prügeln ihn durch und gehen sich prügelnd ab.)
Jourdain. Herr Philosoph!
Philosoph. Infame, insolente Schurken!
Jourdain. Herr Philosoph!
Fechtlehrer. Hol' die Pest das Vieh!
Jourdain. Meine Herren!
Philosoph. Unverschämter!
Jourdain. Herr Philosoph!
Tanzlehrer. Der Henker hole den aufgezäunten Esel!
Jourdain. Meine Herren!
Philosoph. Spitzbuben!
Jourdain. Herr Philosoph!
Musiklehrer. Zum Teufel mit dem Unverschämten!
Jourdain. Meine Herren!
Philosoph. Schufte! Lumpen! Verräther! betrüger! (Sie gehen hinaus.)
Jourdain. Herr Philosoph! - Meine Herren! Herr Philosoph! Meine Herren Herr Philosoph! O prügelt Euch so viel Ihr Lust habt, ich wüßte nichts dabei zu thun und werde nicht meinen Schlafrock verderben, um Euch auseinander zu bringen. - Ich wäre ein rechter Narr, wenn ich mich zwischen sie steckte und mir Schläge holte, die weh thun
Aus: Moliere's sämtliche Werke. Herausgegeben von Loius Lax. Ausgabe in einem Band. Aachen und Leipzig, Verlag von Jacob Anton Mayer 1838. S. 342f.
Anmerkungen: * im frz. Original: fleuret; ** im frz. Original: épée; *** im frz. Original: et achevez de même; **** im frz. Original: pied ferme; ***** im frz. Original: plastron
Eine französische Ausgabe: Le Bourgeois gentilhomme
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