Donnerstag, 2. Februar 2012

Von ägyptischen Stockkämpfen und persischen Ringern - Carsten Niebuhrs Reise durch "Arabien und andern umliegenden Ländern"

Der deutsche Ingenieur und Kartograph Carsten Niebuhr (1733-1815) bereiste im Auftrag von König Frederik V. von Dänemark als Mitglied einer sechsköpfigen Forschergruppe mit dem Philologen Professor Friedrich Christian von Haven (1727–1763), dem Naturgeschichtler Professor Peter Forsskål (1732–1763), dem Arzt Dr. Christian Carl Cramer (1732–1764), dem Maler und Kupferstecher Georg Wilhelm Baurenfeind (1728–1763) und dem schwedischer Dragoner Berggren (?–1763) von 1761 bis 1767 die Halbinsel Arabien und die umliegenden Länder (vgl. zu Carsten Niebuhr und dessen Reise den Vorbericht in seinem Werk "Beschreibung von Arabien", das nach der Reise entstand; außerdem: Hansen, Reimer, „Niebuhr, Carsten“, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1998), S. 217-219 [Onlinefassung]).

1767 ereichte Carsten Niebuhr als einziger Überlebender der Expedition Kopenhagen. In den folgenden Jahren publizierte er seine Studien zu Geographie, Klima, Geschichte und Kultur der bereisten Länder:

  • Beschreibung von Arabien. Aus eigenen Beobachtungen und im Lande selbst gesammleten Nachrichten abgefasset. Kopenhagen: Moeller 1772. [Digitalsat]
  • Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern (2 Bände). Kopenhagen: Möller 1774–1778 [Digitalsat Band 1 / Digitalsat Band 2]. Band 3: Reisen durch Syrien und Palästina. Hamburg 1837.

Auf seinen Reisen durch Arabien und die umliegenden Länder hatte Niebuhr viel Zeit und Gelegenheit, die Länder und Völker in ihrer kulturellen Vielfalt ausgiebig zu studieren. Von Kleidertracht über Musikinstrumente bis hin zu Handwerk und Bewässerungstechnik schrieb er nieder, was er zu Gesicht bekam. Auch zu orientalischen Fechttraditionen machte er sich Notizen in seinem Reisetagebuch, auch wenn diese ganz offensichtlich nicht im Fokus seines Interesses lagen (lediglich zwei Abschnitte auf mehr als 800 Seiten). Zum einen beschreibt Niebuhr verschiedene Leibesübungen der Ägypter (in Band 1, 168-ff) und zudem besucht er in Schirâs ein persisches „Haus der Stärke“ (Band 2, S. 172-175).

Beide Stellen werden im folgenden wiedergegeben. 

Leibesübungen und Zeitvertreib der Morgenländer bey müssigen Stunden.

Es ist von keiner großen Erheblichkeit zu wissen womit die Morgenländer bey müssigen Stunden ihre Zeit vertreiben. Aber die kleinen Spiele, welche unter dem Pöbel gebräuchlich sind, sind gemeiniglich sehr alt, und da hierdurch vielleicht einige Ausdrücke der alten Schriftsteller erklärt werden können, so will ich hier dasjenige von den Leibesübungen und den kleinen Belustigungen der Morgenländer anzeigen, was ich davon beyläufig aufgezeichnet habe. Ich muß gestehen, daß ich mir nicht die Mühe gemacht habe mich hievon vollkommen interrichten zu lassen.
Die Osmanli, d. i. die vornehmen Türken scheinen ein großes Vergnügen am Reiten zu finden, und hierin besteht auch ihre vornehmste militärische Übung. Die Vornehmen zu Kahira  versammeln sich wöchentlich zweymal auf einem großen Platz, der auf dem Grundriß von dieser Stadt bey 41 Mastabe genannt ist, mit einer Menge Sklaven und Bedienten, alle zu Pferde. Einige von ihnen spielen alsdann mit dem Dojerid, d.i. zwey und zwey verfolgen sich sporenstreichs mit einem Stock von einem Dattelbaum etwa vier Fuß lang, in der Hand (ohngefehr so wie sich die beyden Türken auf dem Prospekt der Stadt Raschid Tab. VI. mit der Lanze verfolgen) und diesen werfen sie horizontal so treuherzig aufeinander, daß, wenn der, nach dem er geworfen wird, sich nicht wohl in acht nimmt, ihm bisweilen die Knochen zerbrochen werden. Ich habe einen vornehmen Herrn gekannt, dem in seiner Jugend Arm und ein Bein beym Dojeridwerfen zerbrochen worden war. Andere stellen einen Wassertopf (Bardak) auf einen Sandhaufen, und schießen darnach mit einer Kugel, indem sie sporenstreichs vor ihm vorbey jagen. Die Egypter haben zwar Schlösser an ihren Büchsen, aber wenn sie im vollen Jagen nach einem Ziel schießen, so bedienen sie sich eines Gewehrs mit einer Lunte, weil die schnell in Bewegung gebrachte Luft das wenige feuer des Feuersteins nicht bis auf das Pulver kommen lassen würde. Die vornehmen Herrn üben sich bisweilen auch vor einer gewissen Stelle mit dem Bogen zu schießen, und denen zu Ehren welche hierin außerordentliche Kräfte gezeigt haben, sind in dieser Gegen kleine Pfeiler gesetzt worden. [...]
Bisweilen habe ich die Bedienten der vornehmen Kahiriner sich üben sehen einen Stock 5 bis 6 Fuß lang in einer horizontalen Richtung zu werfen, wie bey. A auf der Tabelle XXV. abgebildet worden. Dieß ist die Vorbereitung um den Dojerid zu Pferde brauchen zu können. Die gemeinen Egypter bis auf die Feláchs d.i. die Bauern, fechten nach gewissen Regeln mit großen Stöcken, wie die Figur B. zeigt. Die kunst erfordert beym Anfange dieses Spiels gewisse Wendungen mit dem Stock zu machen, welche ich als ein Compliment ansehe, und jeder schläg nachher nur nach dem Kopf seines Gegners, der alsdann verstehen muuß den Schlag mit seinem Gewehr abzuhalten. Andere egyptische Klopffechter sind bey C. abgebildet. Diese haben in der rechten Hand einen Stock, in der linken ein Polster mit einem Handgriff, und schlagen nur bloß nach den Armen. Dieß Spiel nennet man Läbelhkkem. Sonst habe ich auf öffentlicher Straße auch Ringer gesehen, die blos enge lederne beinkleider an hatten, sonst aber ganz nackend und mit Oel überschmiert waren, und so zeigten wie sie sich einander zur Erde werfen konnten. Aber diese machten ihre Kunst nur schlecht. Sie würden sich wohl nicht unterstehen dürfen ihre Geschicklichkeit in Persien zu zeigen. Daselbst ich zu Schirâs ein Haus, wo sich alle Morgen zu einer gewissen Stunde viele, und unter diesen so gar vornehme Leute versammelten, um sich nicht nur im Ringen zu üben, sondern auch andere Leibesübungen vorzunehmen, wodurch sie ihre Gesundheit erhalten und ihre Kräfte vermehren können. Ich werde hiervon in dem zweyten Bande meiner Reisebeschreibung eine Zeichnung liefern.


In Band 2 beschreibt Niebuhr dann ein persisches "Haus der Stärke":
Die Perser haben öffentliche Häuser, die sie Surchône (Haus der Stärke) nennen, und wo jeder hingehen kann, um seine Kräfte öffentlich zu zeigen. Als ich das erstemal ein solches Surchône besuchte, fand ich die Luft daselbst so unrein, daß ich es für rathsam hielt, bald wieder wegzugehen. Indeß wagte ich noch einen zweyten Besuch, und dießmal blieb ich so lange, daß ich glaube, meinen Lesern einen deutlichen Begriff von den Leibesübungen geben zu können, die hier vorgenommen werden. Das Gebäude war nur klein, aber hoch, und stark gebaut. An jeder der vier Seiten war eine Nische, oder offene Kammer. Der Platz in der Mitte war bloß für diejenigen welche ihre Geschicklichkeit zeigen, oder sich üben wollten. Die Thüre zu diesem Schauplatz war klein und niedrig, und in dem ganzen Gebäude keine Fensteröffnung; nur oben in dem Gewölbe war ein Loch, durch welches etwas Licht fallen konnte: und da dieß nicht hinlänglich war, so muste der Schauplatz mit Lampen erleuchtet werden. Kurz, es schien, daß man bey der Anlage dieses Gebäudes nur darauf gesehen hätte, um allen Zugwind abzuhalten. Dieß war freylich notwendig. Allein man hätte oben in dem Gewölbe mehr Zuglöcher machen, und dadurch das Haus von den schlimmsten Dünsten reinigen sollen, die jezt den sich hier versammlenden nicht nur beschwerlich, sondern ihrer Gesundheit gewiß auch schädlich sind.
Ich saß mit einigen wenigen Zuschauern in einer Nische. Die Vornehmmen und die Kaufleute, welche hieher kamen um sie zu üben, setzten sich in zwey andern Nischen, und rauchten erst eine Pfeiffe Tobak, wie die Figur a. auf der Tabelle XXXVII. wo ich gesucht habe, das ganze Schauspiel abzubilden.
Man konnte hier auch Caffe bekommen. Drey Musikanten saßen in der vierten Nische. Der eine derselben spielte eine Art Cyther, der zweyte schlug eine kleine Paucke, ohne welche die Morgenländer niemals singen oder tanzen, und der dritte sang bisweilen ein persisches Lied. Als die Liebhaber ihren Caffe getrunken hatten, und nicht mehr rauchen wollten, kleidete einer nach dem andern sich ab, und sprang ganz nackend, außer in ein paar engen ledernen Beinkleidern, die mit einem Riemen um den Leib geschnallt waren, mitten auf den Platz. War einer in seiner Kunst schon sehr geübt, so stellte er sich hier gleich auf die Hände, und mit den Füßen in die Höhe, wie die Figur b. Bald darauf aber stellte er sich wieder auf seine Füße, und hielt sein Gebet mit dem Gesicht gegen Mekka gewandt. Denn die Mohammedaner sollen bey allem, was sie unternehmen, erst beten, und diese Pflicht vergessen sie also auch nicht, wenn sie diese Art von Comödie anfangen. Die meisten hielten gleich ihr Gebet, und warfen dabey, wie gewöhnlich, ihr Angesicht verschiedenmahl zur Erde. Fig. c.
Die erste Übung welche vorgenommen ward, ist bey d. und e. abgebildet, in so weit sich dergleichen Künste abbilden lassen. Die ganze Gesellschaft stellte sich neben einander auf Händen und Füßen. War einer noch ein Anfänger, so stand er ungefehr wie d, ein meister aber streckte Hände und Füße so weit aus einander, als nur möglich, nur muste die Erde nicht mit dem Bauch berührt werden. Fig. e. Alle musten in dieser Stellung, ohne die Hände oder Füße zu verrücken, mit dem Kopf gleichsam einen Cirkel, und wenn dieß zweymal geschehen war, auch den Duchmesser beschreiben. Je öfter nun einer diese Übung wiederholen kann, desto größer ist er in seiner Kunst. Ich glaube gewiß, daß einige sie über 60 mal wiederholten. Alles geschah nach der Musik, und sehr taktmäßig. Dann nahmen einige in jede Hand ein großes Stück rundes Holz, und warfen es auf die Schulter f. Dabey hatten sie weiter nichts zu thun, als die Hölzer taktmäßig von vorne nach hinten auf der Schulter zu bewegen. Nachher hüpften einige mit ihren Füßen gegen ein Brett, das sie schreg an die Wand gestellt hatten, wie bey g. Andere, die schon mehr geübt waren, gingen mit ihren Füßen höher, wie bey h, und endlich einige, die es in ihrer Kunst noch höher gebracht hatten, stellten sich mit den Händen auf die Erde, wie die Figur b.
Es konnte nicht fehlen, daß die Leute nach solchen Übungen sher stark schwitzten. Diejenigen also, die davor bezahlen woltlen, setzten sich in eine Nische, und ließen sich von einem Bedienten brav reiben; (i) auch dieser arbeitete taktmäßig, und gab demjenigen, der sich unter seine Hände begeben hatte, bisweilen einen tüchtigen Streich mit der platten Hand auf den nassen Rücken. Nachher drückte und reckte er ihm alle Glieder. Hierauf fingen alle an zu tanzen. Nicht nach europäischer Manier, wo man unterrichtet wird, die Füße auswärts zu setzen, den Körper gerade und leicht zu tragen u.s.f. sondern jeder hüpfte für sich allein; einige in einem Kreis herum (k) und andere gegen eine Wand, (l) alle bald auf einem, bald auf dem andern Fuß, und dieß so stark als möglich, um den Körper brav zu erschüttern. Einige legten sich auf den Rücken (m) mit Küssen unter dem Kopf und den Armen, um zwey dicke und schwere Stück Holz taktmäßig in die Höhe zu heben. Zu dieser Übung fanden sich nur wenige, weil selbige außerordentliche Kräfte erfordert. Der Meister saß dabey, und zählte laut, wie oft der Schüler die Hölzer in die Höheh ob; man kann daher leicht denken, daß der Nachfolgende sich immer bestrebte, den vorhergehenden zu übertreffen. Hierauf stellten sich alle in eine Reihe, und der Meister hielt vor ihnen eine Rede, oder weitläuftiges Gebet, worin e Ali, Hassan und Hössein oft nannte, wobey alle Ringer oder Klopfechter sehr andächtig zu seyn schienen. Es war nicht möglich alle die verschiedenen Stellungen des Körpers, die ich bey den folgenden Übungen sah, zu zeichnen und zu beschreiben. Ich habe nur eine bey (n) angezeiget; und diese dauerte nicht lange. Die Füße blieben immer auf einer Stelle, den Körper aber bewegten sie bald aufwärts, bald unterwärts, bald nach vorne bald nach hinten. Dann fingen einige paarweise an zu ringen, und auch dieß nicht ohne vorherige Complimente. Unter anderem schlugen zwey ihre Hände zusammen, und legten sie kreuzweis vor die Stirn, wie bey (o), welches ich als einen Gruß ansah. Dann setzten sie sich gegen ein ander auf die Erde. Jeder suchte wie er seinen Gegner am vortheilhaftesten angreiffen konnte; und wenn sie erst Handgemenge wurden, so rungen sie so lange herum, bald auf den Knien bald auf den Füßen, bis einer auf der Erde lag. Dann küßte der Überwundene dem Sieger ganz ehrerbietig die Hand. Hiebey gab es keine Stöße oder Schläge, als wenn die Engländer sich boxen. Indeß fühlten doch einige, wen sie vom Platz gingen, nach ihren Armen und Beinen, als wenn ihre Glieder Ruhe nötig hätten. Einer von ihnen warf nach und nach alle, die ihre Kräfte mit ihm messen wollten, zu Boden: und als zulezt keiner mehr erschien, so forderte er ein kleines Trinkgeld von den Zuschauern. Kann einer den Beweis bringen, daß er in einer Hauptstadt der Mohamedaner. z. E. zu Isfahân, Constantinopel oder Delhi es bekannt gemacht habe, daß er zu einer bestimmten Zeit mit dem stärksten Ringen wolle, und daß sich keiner gefunden, der ihn hätte zu Boden werffen können, so hat er die Freyheit, einen Löwen in Stein ausgehauen auf sein Grab legen zu lassen. Ich habe zu Schirâs zwey solche Gräber gesehen, das eine auf einem Todtenacker nahe bey dem neu angelegten Garten des Kerim Khân, und das andere bey der Mosqué Schahi Scherá. Ich vermuthete anfänglich, daß die, welche hier begraben wären, große Herren seyn müsten, die ihre außerordentliche Tapferkeit entweder im Kriege, oder auf der Löwenjagd gezeigt hätten: hörte aber nachher, daß ihre gröste Tapferkeit im Ringen bestanden hätte. Wer weiß wie oft große Gelehrte, die die Alterthümer erklären wollen, eben so große Fehler machen. In des Schech Sáade persischem Rosenthal sind einige artige Fabeln von Ringern die der europäische Leser jetzt besser verstehen wird. (S. Olearii Übersetzung S. 56, 154.)
Zu Schirâs sind drei solche öffentlichen Surchône, wo sich nicht nur Personen von mittlerem und geringen Stande, sondern auch bisweilen vornehme Militair- und Civilbediente versammeln, um ihren Körper durch dergleichen Übungen zu stärken. Die großen Herren haben bisweilen auch in ihren Häusern darzu eingerichtete Zimmer, um daselbst mit ihren Freunden und Bekannten zu ringen. Diese Leibesübung treiben die vornehmen Perser des Morgens; am Nachmittage sind sie zu Pferde.

Zur Illustration: Zeichnung eines persischen "Hauses der Stärke" in Schirâs. Aus: Niebuhr, Carsten: Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern, Bd. 2. (Bildquelle: Google Books)

2 Kommentare:

  1. Höchst interessante Berichte zum Ringen in arabischen Ländern. Wer hätte gedacht dass es damals schon Fittnesstudios gab ;-)
    Schöner Artikel!

    AntwortenLöschen
  2. Ein schöner Fund. Die Perser schwingen übrigens noch heute ihre Keulen, wie man bei YouTube sehen kann. Und sie machen mitunter Liegestütze tief im Hohlkreuz... angeblich sind diese Übungen vorislamisch, aber heute haben sie einen schiitischen Bezug auf den Imam Ali b. Abi Talib, der im Text ja auch erwähnt wird (und er soll auch sehr stark gewesen sein).

    Das ominöse Kahira ist höchstwahrscheinlich die Stadt, die bei den Arabern al-Qahira heißt und bei uns Kairo.
    Viele Grüße, Cornelius

    AntwortenLöschen