von Dorothee Klein und Jan Schäfer
Während
sich die bereits transkribierten Seiten 5 und 6 der
Handschrift Aa298 der Sammlung Palais Liechtenstein Archiv mit der
Körper-, Arm- und Waffenhaltung beschäftigen, beschreiben die Seiten
43-46 Techniken, die aus einem Atajo (= ein Prinzip in der Fechtkunst
Destreza, die eigene Klinge in eine Position zu bringen, die der
feindlichen überlegen ist) entweder innen (auf Seite 44) oder außen
(auf Seite 45) herrühren. Seite 46 ist mit 'Universal' überschrieben.
Seite '43' ist mit Anmerkungen beschrieben, die sich ausnahmslos alle
auf Seite 44 einfügen. Es ist davon auszugehen, dass der Autor
zuerst Seite 44 schrieb (diese ist für sich genommen bereits mit
zahlreichen Randbemerkungen versehen) und dann weitere Anmerkungen
auf Seite 43 unterbrachte.
Wie im ersten Teil unserer Transkription richten wir uns auch dieses Mal nach den Marburger Transkriptionsrichtlinien.
Der Text:
[43]
[44]
Wenn
du des feindes wehr von innen, id est, wo seine brust ist,
bedekt
hast.
hast
und er bleibt stil ihn zu verwunden mit einem stich
er
unter dem kreuz
caviret, so drit auf dein seiten
der wehr7[,]
gehe vorwarts das
du pesser weichen könnest und mit deinem forte gehe auf das
debole8
des
feindesf
und stich gerad gegen
des feindes
axl.
nimb
mit der andern hand die wehr des feindes bei dem
kreuz also das du sie ihm
Wenn
der feind unter deinem kreuz caviren und die wehr
sugetiren9
will, so
gehet
er auf sein lehre hand unnd
zurückk,
so mustu oder contra
caviren, und wieder wie vor sugetiren
und
auf die lehre hand10
gehen, oder du lest ihn die wehr sugetiren und
bedekst den punto.
Item.
dritt zuruk unnd ein wenig auf dein lehre seitten11
wie f: 25 b zu vernehmen ist.l
mit einemm
passo12
von 4 schritten oder so gros des feindes schrit
ist von pie bis Hn
13
N:
Wann man den punto bedecken will, so mus man die
finger
außwarts halten, bedekestu den punto, wenn des feindes
wehr dich auf
deiner
rechten hand feriren will, so mustu NB den drit auf deine
linke
hand
thun, bedekestu dich aber auf deiner linken hand, so
mustu den
dritt
auf die rechte hand thun.
General
ist, der wehr stets nachgehen, wenn man sie ein mal atairet
hatt.
2°
Wenn der feind sein wehr libriren14
undo
caviren will unter der punto unnd sich retirieret15
unnd also dein wehr
sujetirn willp,
so
es
sicher thun denn im retiriren feriret der feind
keinen als der ihn selbst an die wehr einläst.r
gehet er auf ein seitten, so gehe du auf die ander, unnd
sujettire
die seine auf der andern seitten.
3°.
Wenn der
feind
unter deinen punto
caviret und gehet auf sein lehre seitens
und ein merot
taglio machen
will,
unnd
sogiogire des feindes wehr auf der andern
seitten.
Wiltu
feriren, so bald des feindes wehr unter deiner
heraus ist, so stosse gerad zu wie oben
N°.
1 vermeldt ist.
4°.
Wenn der feind unter deinen punto caviret, auf sein
lehre seitten gehet, und ein völlig
revers18
machen will, so sogiogire ihm die wehr auf die seiten
der wehr gehend, wie bei N 3
vermeldt
ist. Wenn der feind unter deiner punto caviret
und gehet ein, und will den
so
thue wie f. 25 b. und f 26 gezeichnet ist.w
Wenn
der feind einen revers machen will, und gehet gegen
seiner
lehren seitten, thue wie f: 23. b. 23.x
Wenn
der feind under deinem kreuz caviret und ein
völ-
ligen
taglio machen will und gehet auf sein seitten der wehr,
so
thue
wie f 26.y
5°.
Wenn der feind unter deiner punto caviret
und gehet auf sein lehre seitten und will
ein
stocata21
thun, so thu wie N° 3.
[45]
Wenn
du des feindes wehr von aussen bedekt hast.
Wenn
der feind unterz
deiner punto caviret ein ½ revers macht, und gehet auf
sein
seitten der wehr, so gehe du auf die ander seittenaa
auf die lehre
seitten
und attaiere auf der ander seiten[,] man kanab
auch feriren bei des feindes meroac
revers (aber nicht sicher) und mus alsdan den schritt vor sich
machen.ad.
Wiltu feriren so drit eben also
unnd
an statt des attairen, stos geradt und drit ein wenig pesser
hinzu.
gehet
er auf sein seiten der wehr, so gehe du ut supraag
Wenn
der feind unter deiner punto caviret, und ein taglio
macht....
mit
dem drit ein wenig vorwerts, ist aber nicht gar sicher.
Wen
der feind unter dein kreuz caviret und stost,
und drit auf sein
seitten
der wehr / so dritt du auf die lehre seitten und
attaiere / oder
anstat
des atairen ferire pesser hinzugehend.
Max
NB wenn du atairen wilt so mustu auf die seitten tretten,
damit
du in der ersten mensur bleibest. / Wiltu aber
anstatt
des atairen feriren, soaj
mustu den drit pesser hinzu
thun.
Wenn
der feind unter deinem kreuz caviret und die
wehr sugetiren will,
(so
thue wie obgemeld bei N°. 1. signo [...]ak.
Den
ganzenal
revers kan er nicht wol thun, wie auch den ½ taglio nicht
denn
der erste gibt ein zu grosses tempo, unnd der andere
endblöst sich
zuviel.
[46]
Universal23
Wenn
du in der universal des feindes wehr auf die
einam
seitten nider wilst drucken
zeit
auf die ander seitten gehen als ex gemma24
bewegestu die wehr auf die
linke
seitten, so mustu auf die rechte seitten gehen.
dreiestu
die selbe selber herumb, / caviret er sie selber
so
volgstu
ihr, mit deiner wehr unnd drittst herumb den
quadrado
am feind zugewinnen.
spitz
zu deinem kreuz von dort hastu nahender an seinem leib
ihn
aber auch unter der axl [...]at
primera intentionau
25
zu feriren das thue mit deinen drit von des feindes punto wei-
chend
/. Oder du kanst die wehr des feindes mit deiner wehr
unter der
punto
an seiner wehr vortfarend, caviern, und (wenn der feind
dein
wehr
von innen attairet hatt,) ein meroav
revers machen[,] mit
den lehre fus herein tretend und die wehr mit der andern hand
nehmendaw[,]
hatt er aber von aussen attairet ein ganzen revers,
alles mit dem dritt.
Oder
aber wiltu warten wenn du den punto bedeckt
hast, das der feind ein moto26
thue, will er dich feriren oder deine wehr, so gehe nur
gerad auf gegen sein gesicht. Oder aber behalt den
punto bedeckt und gehe in die enge mensur
alsdanax
gehe ein wie hie unden bei signoay
gemeldt ist.az
Wenn
du in der engen mensur den punto
bedeckt hast, so kanstu
eingehen
und die wehr des feindes mit der andern
hand fassen
punto
auswendig bedekt worden, noch aber des feindes punta die wehr
hervorthuend. / Item ist der punto inwendig bedekt, so
kanstu einen ½ revers an fues geben und darfst nicht dein
wehr ober des feindes wehr caviren.
N:
Dies kanstu thun auch, wenn du den punto bedekt hast und
noch
in der weiten mensur bist.bd
so
fahre an seiner wehr herab unnd drette auf die seitten
unnd
thue ein halben revers an elbogen. / Wenn der
feind auswendig
den
punto bedekt, so kanstu gleiches thun mit einem 1/2 taglio.
Wenn
des feindes wehr fest auf deiner aufligt so cavire
unter
seiner
punto und mache ein mero revers oder taglio
nach gelegenheit
wo
die wehr bedekt ist. Oder cavire unter seinen kreuz
unndt
stos
ein punto.
Die Seiten im Original:
"Seite 43". Bildquelle: LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz-Vienna. Hausarchiv, FA248. |
"Seite 44". Bildquelle: LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz-Vienna. Hausarchiv, FA248. |
"Seite 45". Bildquelle: LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz-Vienna. Hausarchiv, FA248. |
"Seite 46". Bildquelle: LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz-Vienna. Hausarchiv, FA248. |
Anmerkungen zur Transkription:
a Davor
gestrichen: [unleserlich].
1 Vermutlich
vom spanischen Wort "atajo".
2 Vermutlich
vom spanischen Wort "tajo". Der Tajo ist ein Hau von
rechts.
b Auf
vorangehender Seite eingefügt: "supra
/ wen du dem feind
die wehr
atairet
hast
und er bleibt stil ihn zu verwunden mit einem stich
oder
taglio f 23."
3 Mit
dem Wort "caviren“ greift Gundaker auf ein Wort italienischer
Fechtterminologie zurück.
4 Vermutlich
vom portugiesischen Wort "ferida" / ("herida"
auf Spanisch). Die Ferida ist die Wunde bzw. Vewundung.
c Über
der Zeile eingefügt: "mit einem Stiche".
d Gestrichen:
"rechte".
e Über
der Zeile eingefügt: "der wehr".
5 "Hand
der Wehr" meint vermutlich die rechte Hand.
6 Punto
(span.): der Punkt, in diesem Zusammenhang vermutlich die
Schwertspitze.
7 "Seite
der Wehr "meint vermutlich die rechte Seite.
8 Debole
(ital.): die Schwäche. In diesem Fall die Schwäche der Klinge.
f Am
linken Rand eingefügt: "gehe
vorwarts das du pesser weichen könnest und mit deinem forte gehe
auf das debole des feindes".
g Unterstrichen:
"linken".
h Über
der Zeile eingefügt: "andern".
i Bedeutet
vermutlich: drehen.
j Gesamter
Satz eingefügt unter Absatz 2°.
9 Vermutlich
vom Spanischen "sujetar" (=festhalten, unterwerfen)
abgeleitet.
k Über
der Zeile eingefügt: "und zurück".
10 "Lehre
Hand" meint vermutlich die linke Hand (= die leere Hand, also
die hand, die keine Waffe hält).
11 "Lehre
Seite" meint vermutlich die linke Seite.
l Eingefügt
unter der Zeile: "unnd
ein wenig auf dein lehre seitten wie f: 25 b zu vernehmen ist."
m Über
der Zeile eingefügt: "einem".
12 Passo
(ital.): der Schritt, Tritt.
n Gesamter
Absatz eingefügt unter Absatz 5°.
13 Gemeint
ist mit H vermutlich ein Punkt auf dem Schrittdiagramm von Narvaez.
14 Vermutlich
vom spanischen Wort "liberar" = sich von etwas befreien
oder lösen.
o Über
der Zeile eingefügt: "sein wehr libriren und".
15 Vermutlich
vom spanischen Wort "retirar" = zurücktreten oder
zurückziehen.
p Über
der Zeile eingefügt: "und also dein wehr sujetiren will".
16 Vom
ital. "misura" = Maß, Abmessung. Hier greift Gundaker
wieder auf ein Wort italienischer Fechtterminologie zurück.
q Über
der Zeile eingefügt: "so vil er ... du kannst".
r Am
linken Rand eingefügt: "es sicher thun ... die wehr einläst".
s Über
der Zeile eingefügt: "und gehet auf sein lehre seiten".
t Auch
"mezo" wäre eine mögliche Leseweise für das Wort.
17 Vermutlich
ebenfalls vom Spanischen "sujetar" (=festhalten,
unterwerfen) abgeleitet.
v Eingefügt
unter der Zeile: "gegen des feindes axl".
18 Vermutlich
vom Spanischen "revés" (=Rückhand(hieb)) abgeleitet.
19 Angulo
(span.): der Winkel.
w Gesamter
Satz am Seitenende eingefügt.
x Gesamter
Satz auf vorangehender Seite eingefügt.
y Gesamter
Satz auf vorangehender Seite eingefügt.
21 Stoc[c]ata
(ital.): der Stoß, Stich.
z Gestrichen:
"der".
aa Eingefügt:
Zeichen unbekannter Bedeutung.
ab Gestrichen:
"ihn".
ac Auch
"mezo" wäre eine mögliche Leseweise für das Wort.
ad Am
linken Rand eingefügt: "man kann ... vor sich machen".
ae Gestrichen:
"der".
af Über
der Zeile eingefügt: "deiner".
22 Bislang
unbekannt.
ag
Hinter dem supra ist eine Verbindungslinie hin zu dem „Wiltu“
drei Zeilen darüber eingefügt. Möglich ist, dass der Satz drei
Zeilen darüber eigentlich hier unten angefügt werden sollte.
ah Über
der Zeile eingefügt: "lehre".
ai Gestrichen:
"der wehr".
aj Durch
übergeschriebene Zahlen wurde die Satzstellung nachträglich
korrigiert.
ak Verweis
auf ein Einschubzeichen eines Absatzes der vorigen Seite: "Wenn
der feind
unter deinem kreuz
caviren und die wehr
sugetiren will, so gehet er auf sein lehre hand
...".
al Über
der Zeile eingeschoben: "ganzen".
23 Sehr wahrscheinlich ist hier der "Atajo" gemeint
am Vor
"ein" gestrichen: "d".
an Gestrichen:
"deiner wehr".
ao Über
der Zeile eingefügt: "bewegest".
24 Bislang
unbekannt.
ap Gestrichen:
"hand".
aq Über
der Zeile eingefügt: "wehr".
ar Gestrichen:
"schwach".
as Über
der Zeile eingefügt: "stark".
at Unleserlich.
au Über
der Zeile eingefügt: "aber auch unter der axl [...] primera
intention".
25 Primera
intention (span.): Erste Absicht (eines Angriffs).
av
Auch "mezo" wäre eine mögliche Leseweise für das
Wort.
aw Am
linken Rand eingefügt: "mit
den lehre fus herein tretend und die wehr
mit der andern hand nehmend".
26 Moto
(ital.): die Bewegung.
ax Gestrichen:
"thue wie".
ay Dahinter
ein Pfeil-Zeichen, das auf den nächsten Absatz verweist.
az Gesamter
Absatz am linken Rand eingefügt.
ba Gestrichen:
"taglio und".
bb Gestrichen:
"die wehr".
bc Über
der Zeile eingefügt: "wenn der punto inwendig bedeckt worden".
bd
Es
ist nicht klar, wohin diese Nota gehört.
27
Vermutlich vom Lateinischen "tapes" (=bedecken)
abgeleitet.
be Über
der Zeile eingefügt: "von inwendig".
bf Über
der Zeile eingefügt: "an".