Montag, 28. Januar 2013

„Derenthalben ist hie auch etwas Aufmerkung zu haben / auf die Eygenschaft der Menschen“ - Die vier Fechtertypen bei Theodor Verolini (1679)

Der Fechtmeister Theodor Verolini schrieb im Rappier-Teil seines Fechtbuches „Der künstliche Fechter [...] Kurtzte / jedoch klare Beschreibung Der Freyen Ritterlichen und Adelichen Kunst des Fechtens Im Rappier / Dusacken und Schwerd / Wie dann auch mit angehängter Ring=Kunst“ von 1679 mehrere Absätze über gegnerspezifische Fechtanweisungen nieder:

Vom Fechten im Rappier /
auch in Ordnung solches Fechten
beschrieben wird.

[...]
Derenthalben ist hie auch etwas Aufmerkung zu haben / auf die Eygenschafft der Menschen / welche dann in dieser Fecht=Kunst artlich können in vier Theil getheilt werden / und sich nach fleissigem Aufmercken auch also viererley Fechter finden / damit du aber solchen nützlichem nachzudencken Anleitung haben magst / wil ich dir die erstlich erzehlen / und demnach wie du dich gegen deren einem jeden halten solt / eine kurze Lehr und Regel geben und setzen.

Und seynd die ersten diese / welche so bald sie den Mann im Zufechten erlangen können / den Nechsten mit Ungestüm herhauen und stechen / die andern seind etwas bescheidner / und greiffen nit zu grob an / sondern wann sich einer Verhauen / Verfallen / oder sonsten ihme durch Wechseln versaumbt hette / Reisen sie und folgen der nechsten gegebenen Blöß eylens nach / die dritten hauen nicht ehe zur Blöß / sie haben dann dieselben nicht allein gewiss / sondern haben auch acht / ob sie auch von desselbigen zulangen des Hiebs wider sicher in ein Versatzung / oder zum Wehrstreichen erholen können / mit welchen ichs auch allermeist halte / doch nach dem mein Gegenfechter ist / die Vierdten schicken sich in ein Hüt / und warten also auff des Manns=Stück / welche seynd entweder Alber oder gar Schamper / dann wer auff eines andern Stuck warten will / muß geschickt auch wol geübt und erfahren seyn / sonst wird er nit viel außrichten.
Also wie nun die ersten Ungestüm und etwann Thumkien / und wie man zu sagen pflegt doll / die andern listig und schampffer / die dritten fürsichtig und betrieglich / die vierdten gleich alber / Also must du dich deren aller vier auch selbst anmassen und geschickt machen / auf daß du den Man etwann mit Ungestüm / etwann mit List / etwann mit fürsichtigem Auffmercken betriegen könnest / oder auch mit albern Gebärden anreitzest / verführest / und ihme also nicht allein umb seine fürgenommene Stuck betriegest / sondern auch dir hiermit zur Blöß raumest und Platz machest / damit du ihm die Dester sicherer rühren und treffen könnest.

Nun gegen die ersten Fechter schicke dich also / wann du merckest daß dich einer im Angriff also mit hartem hauen und stechen übereylen und dich übertringen will / so versetz ihm sein Hau oder Stich mit ausgestrektem Arm / auf dein lange Schneid / nahet bey deinem Gefäß in die Stärcke / und wende ihm also dein Gefäß gegen alle seine herfliegenden Häuw und Stich / doch das du in solchem Versetzen nit zu weit aus dem Langen ort / von deinem Gesicht zur Seiten außfahrest / dann je Strecker du in solchem Abwenden mit deinem Gefäß vor deinem Gesicht bleibest / je besser es ist / und entzeuche allezeit deinen Kopf und Gesicht von seiner Klingen hinder die deine / und in dem du ihm also sein Hau unnd Stich aufhälst / so mercke fleissig ob du ihm die Versatzunge im andern / dritten oder vierdten Hau entzucken mögest / mit einem Abtritt zuruck / daß er sich mit seinem Hau oder Stich verfehlet / alsdann stich oder haue eben indem er noch im verfallen ist / oder ehe er sich wider erholt / behendiglichen nach / dann welche also Ungestüm mit hauen und stechen auff dich hinein stürmen / denen soltu allwegen im Langen ort / oder gerader Versatzung begegnen, auch ihme am ersten etwas nachgeben und weichen / doch daß du gleichwol alle Häuw und Stich von dir außtragest und abwendest / alsdann wann er schier müd unbesunnen oder sicher worden ist / und du deinen Vortheil ersehen hast / so folge behändiglich und fürsichtig nach / dann je mehr du weichest / je ungestümer er wird / je leichter du ihn vervortheilen kanst / doch daß du hiemit nichts aus deinem Vortheile tringen lassest / dann welcher so ungestüm von sich hauet / der hat sich bald verhauen.

Gegen die aber welche nicht also Ungestüm im Vor=hinein Fechten / sondern im nahe auf des Mans Vor=hinein Fechten acht nemmen / gegen dieselbigen schicke dich im Zufechten in der Hüten eine / alsdann Wechsel vor ihme mit Fürsichtigkeit aus einer Hut in die ander / und beute ihm eine Blöß nach der andern dar / doch daß das Orth allwegen vor ihm bleib / allerdings wie hievor vom Abwechseln gesagt / alsbald er dir unterdeß zusticht oder hauet / so fall ihm mit Absetzen oder Dämpffen darauf / und eyl im bald der geöffneten Blöß zu.

Gegen die dritten Fechter Practicier also / wann du merckest daß dein Gegenfechter nit zu erst hauen / noch der Blössen bald zueylt / er hab sie dann gewiß / so schickte dich im Zufechten in die Nebenhüt / oder im Wechsel verharr ein kleine Weil darin / als wolltest du auff seine Stuck warten / indessen aber gehe aus der Undernhüt / wider übersich / und stell dich als woltest du in die Oberhüt verwechseln / wann du schier in der Oberhüt ankommen bist / so verwende dein Wehr in eyl zum Streich / haue also eylends ehe er sich des versicht / der nechsten Blöß zu durch / mit außgestrecktem Arm / damit du dich abermals blössest / welcher Blöß er er ohn zweiffel bald (dieweil du ihme die / also durch einen ohnversehenen Streich dargebotten hast) eylends zuhauen wird / thut er solches so setz ihm ab / und Arbeit fort zur Blöß / hauen er nicht / so stich deinem vollbrachten Hau bald ein starcken Stich nach / dieses ist ein geschwinder Betrug / daß du dich mit Gebärden stellest / als wolltest du erst lang von im aus einem Leger in das ander gehen / und thust es auch zum Theil / aber wann du schier mit deiner Wehr zu der fürgenommenen Oberhut ankommest / und ersihest indeß dein Gelegenheit / so verwende dein Wehr ehe dann du vollkommen in das Leger kommest zu einem Streich.

So viel aber die vierdten Fechter belanget / sich gegen sie anzuschicken, daß findest du in bisher gelehrten Stucken durchaus. Also soltu nun auf deines Gegenmanns Gewonheit Art und Natur achtung geben / dadurch sein fürnehmen zu erkennen / damit du einem jeden nach Gelegenheit zu begegnen wissest, letztlich so soltu allwegen drey Häuw fleissig in acht haben / also daß du mit dem einen Reitzest / mit dem andern Nemest / Versetzest / und mit dem dritten Treffest.

Über "Der künstliche Fechter":
Das Fechtbuch ist von Theodor Verolini in vier Teile (Schwert, Dussack, Rappier, Ringen) untergliedert worden und zählt insgesamt 27 Seiten Text [Schwert: 5, Dussack: 5, Rappier: 9, Ringen: 8] und 111 Seiten Illustrationen [Schwert: 15, Dussack: 14, Rappier: 10, Ringen: 72]. Erschienen ist es 1679 im fränkischen Würzburg beim Buchdrucker Joann Bencard. Der Fechtmeister Verolini orientierte sich in "Der künstliche Fechter" bei langem Schwert, Dussack und Rappier in Inhalt und Illustrationen stark an Joachim Meyer (“Gründliche Beschreibung der freyen Ritterlichen und Adelichen kunst des Fechtens”, Straßburg 1570 und Manger, Augsburg 1600). Für seinen Ringteil übernahm er einen Widenmann-Nachdruck (mehrere seit 1675) von Nicolaes Petters Buch (“Klare Onderrichtinge der Voortreffelijcke Worstel-Konst", bei Johannes Janssonius van Waesberge, Amsterdam 1674) (vgl. dazu Wassmannssdorff: "RingKunst" 1887, S. 5 [pdf]).

Nachtrag:
Der Part über die "Eygenschaft der Menschen" ist wie weite Teile von Verolinis Buch dem Werke Joachim Meyers “Gründliche Beschreibung der freyen Ritterlichen und Adelichen kunst des Fechtens”, Straßburg 1570) entnommen (-> siehe ab XCIX). Danke an Roger Norling von HROARR.

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