Mittwoch, 9. November 2016

„Anweisung zur Fechtkunst“ von Heinrich Christoph Ranis. Eine Rezension aus dem Jahr 1772

von Jan Schäfer

In der „Allgemeinen Deutschen Bibliothek“ (18. Band, verlegt bei Friedrich Nicolai, Berlin und Stettin, 1772) wird das Fechtbuch von Christoph Ranis besprochen.

Der Text:
„Heinrich Christoph Ranis, Königl. Commissarii und Fechtmeisters Anweisung zur Fechtkunst. Mit Kupfern. Berlin, bey Mylius 1771. 8.

Wir haben in Deutschland noch kein Buch von dieser Art, das mit gleicher Gründlichkeit und Deutlichkeit geschrieben wäre. Unter solchen Händen bekommt diese Kunst erst einen wissenschaftlichen Ton. Der Verfasser zeigt hier die wahren Vorzüge der deutschen Fechtkunst vor der französischen und italienischen.
Der Franzose hält den Degen nicht fest, er kennt die rechte mensur nicht, und weiß sie auch nicht zu gebrauchen; er sucht seine Vertheidigung allein in dem gestreckten Lager, wozu er doch den Degen nicht feste genug hält, deswegen kann er auch die deutschen festen simplen oder gar festen Contratempostöße nicht parrien; er sucht eine Zierde in dem Paßiren der klinge bey den Cavationen oberhalb der feindlichen Klinge, welches der Deutsche, als eine falsche Bewegung, wie de Pest fliehet: der Franzose sucht eine grosse Vertheidigung im Schreyen, Springen und Laufen, der Deutsche aber in der Gelassenheit; der Franzose lauft nach dem Angriffe anstatt contra zu stoßen; stößt zwar ins Tempo, aber nicht wie der Deutsche, nach geschehener Parade, sondern indem der andere stößt, stößt er auf blindes Glück zugleich mit. Bey dieser Gelegenheit macht der Verfasser Girards Traité des armes 1740. lächerlich. Mit dem Italiener ist er zwar überhaupt besser zufrieden, aber er tadelt doch vieles an ihm, insbesondere daß er die Sekonde oft so stößt, daß er sich mit der lincken Hand bis zur Erde dabey stellt und auch wohl eine Hand voll Sand aufnimmt, um sie nach dem Gegner zu werfen, und noch mehr anders.
Den wahren Grund, auf welchen die Fechtkunst, oder vielmehr die Nothwendigkeit, sie zu erlernen, beruhet, setzet der Verfasser in dem edelsten Gedanken, wie er ihn nennet, sich zu vertheidigen, und den Gegner unfähig zu machen, daß er nicht schaden kann, keineswegs aber ihn oder zugleich sich selbst unglücklich zu machen.
<Seite 636> Wir bewundern das gute Geschicke, mit welchem dieser Verfasser seinen Gegenstand behandelt, und verzeihen ihm daher gerne den ernstlichen Ton, den er daby annimmt, diese Kunst als ein Studium zu behandeln, wobey der Lehrmeister das Blut seiner Schüler zu verantworten hätte.
Wir glauben, daß der Fechten für das menschliche leben keinen andern Nutzen habe, als um die Gesundheit zu erhalten, und sich eine angenehme Veränderung zu machen, die von den Ergötzlichkeiten des Pöbels unterschieden ist, eine Leibesübung, die mit dem Caroussel=Reiten, dem Scheibenschiessen, dem Ballschlagen, dem Billardspiele, dem Tanzen unter eine Klasse gehört.
Der Caroussel=Reiter wird nie in den Fall kommen, einen lebendigen Türkenkopf anzuspießen, und der beste Scheibenschütze kann einen Hasen oder Vogel verfehlen; der beste Fechter ist decontenancirt, wenn er anstatt des Rappiers den Degen nehmen soll, wo ihm die Spitze nicht mehr so deutlich ist. Also mag es wohl immer seyn, einer solchen Wissenschft einen gewissen Methodischen Ton zu geben; aber den nutzen davon ernstlich auf die Vertheidigung gegen das menschliche Geschlecht anzuwenden, das möchte wohl in unsern menschlichen Tagen spät seyn.
Man bringe die Duellmandate zur Vollstreckung, dann braucht man nie anders als mit dem Rappier zu fechten. Jndessen wenn gleich dieses bisher nicht überall möglich gewesen ist, so liefe es doch immer darauf hinaus, daß die junge Leute auf dem Fechtboden in der Kunst unterrichtet werden müsten, die Duellmandate zu brechen; denn ob man schon z. E. die Ehebrüche durch die dagegen vorhandene Mandate auch nicht abstellen kan, so wird man doch keine öffentliche Schulen ans legen, die Ehe brechen zu lehren, sondern was auch immer den Schein davon haben möchte, das sind angenehme Veränderungen und Uebungen in einem sanften Umgange mit dem schönen Geschlechte und dergleichen.
Also, wir bleiben dabey, daß die Fechtkunst unter den Menschen keine größere Moralität habe, als das Billiard, nämlich, die Gesundheit und eine angenehme Veränderung; denn sobald die Parteyen sich feindlich ansehen, das ist, Schimpf in Ernst verwandeln, dann hören die strengen Regeln der Fechtkunst auf, dann kann freylich ein Theil den andern erstechen,
<Seite 637> aber in einem solchen Falle kann er ihm auch die Billiardkugel an den Kopf werfen, inter arma silent leges.

Mz.“

Zum Nachlesen:


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