Montag, 29. Oktober 2012

"Persian Archery and Swordsmanship" - Ein Interview mit Dr. Manouchehr Moshtagh Khorasani zur Erforschung der historischen Kampf- und Kriegskünste des Iran

Dr. Manouchehr Moshtagh Khorasani ist Autor der Bücher 'Arms and Armor from Iran: The Bronze Age to the End of the Qajar Period‘, 'Oriental and Arab Antique Weapons and Armour: The Streshinskiy Collection' und 'Lexicon of Arms and Armor from Iran: A Study of Symbols and Terminology“. Im November erscheint sein neues Buch 'Persian Archery and Swordsmanship: Historical Martial Arts of Iran', in welchem er einen Einblick in die historischen Kampf- und Kriegskünste des persisch-iranischen Kulturraumes gibt. Fechtgeschichte hatte die Möglichkeit, im Vorfeld der Veröffentlichung mit ihm zu sprechen.

Fechtgeschichte: Herr Dr. Korashani, 'Persian Archery and Swordsmanship: Historical Martial Arts of Iran' ist Ihr erstes Buch zu den Kampf- und Bewegungskünsten des Iran selbst, nachdem Sie sich in Ihren vorangegangenen drei Werken mit der Waffen- und Rüstungskunde dieser Region befasst haben. Wie kam es zu diesem Schritt von der Erforschung von Waffen und Rüstungen hin zur  Erforschung deren Benutzung?

Manouchehr Moshtagh Khorasani: Als ich über Waffen und Rüstungen forschte, wollte ich auch die genauen metallurgischen Verfahren kennenlernen, mit denen Damaststahl hergestellt wird. Also begab ich mich in den Bibliotheken auf die Suche nach entsprechenden Manuskripten. In den Schriften, die ich fand, entdeckte ich Querverweise auf andere Handschriften, die davon berichteten, wie eine Waffe korrekt zu schärfen ist. Und in diesen Handschriften wiederum entdeckte ich weitere Querverweise, die mich schließlich zu Schriften führten, die erläutern, wie bestimmte Waffen im Kampf zu führen sind.

Fechtgeschichte: Wie sind Sie bei den Arbeiten zu Ihrem Buch vorgegangen?

Manouchehr Moshtagh Khorasani: Die iranische Kultur ist eine sehr reichhaltige Schriftkultur mit über einer Million Manuskripten zu Epik, Poesie, Philosophie, Naturwissenschaften, Medizin und mehr. Ein Fokus meiner Arbeiten für das Buch lag darauf, Kampf- und Schlachtfeldberichte aus Epik und Poesie und die Abertausende von Buchillustrationen zu sammeln und miteinander zu vergleichen. Ich habe mir Körper- und Waffenhaltungen und Treffer in Wort und Bild angesehen und detailliert analysiert. Es ging mir darum, die in Schlachtfeldberichten und Gedichten beschriebenen Handlungen mit den gemalten Buchminiaturen zu vergleichen und daraus Muster für Technikkomplexe abzuleiten. Hinzu kommen ab dem 14. und 15. Jahrhundert eine Vielzahl von Manuskripten mit detaillierten Anleitungen zu Kampftechniken für die unterschiedlichen Waffen. Als Beispiel sei hier das Buch von Ahmad Mehdi Hosseyni aus der Zeit von Šāh Esmā'il Safavid (1502-1524) genannt, dass den Kampf mit Speer, Schwert, das Ringen und Bogenschießen sowie den berittenen Kampf beschreibt. Wir können sagen, dass es für den iranischen Raum eine große Zahl an Schriftquellen gibt. Chronologisch gesehen hat man für die Bronzezeit (in Altpersisch) nur ein paar Steintafeln als Quellen, vom 2. v. Chr. bis zum 6. Jahrundert n. Chr. (in Mittelpersisch) schon gibt es einige mehr Quellen und ab dem 10. Jahrhundert (in Neupersisch) eine wachsende Zahl an Epen, Gedichten und Schlachtfeldbeschreibungen. Ab dem 14. und 15. bis zum 18. Jahrhundert finden wir dann auch Manuskripte mit detaillierten Anleitungen, und ab dem 19. Jahrhundert dann viele Bücher speziell über Feuerwaffen. Doch die Handschriften sind nicht alles. Es gibt weitere interessante Quellen, die ich während meiner Reisen in den Iran neben dem Quellenstudium in Bibliotheken und Museen ebenfalls erforscht habe. Dies sind zum einen die traditionellen Ringformen, dann das sogenannte 'Haus der Stärke‘ sowie einige besonders im Süden des Iran weitverbreiteten Waffentänze. Zu den traditionellen Ringformen lässt sich sagen, dass es im Iran 23 traditionelle Ringformen gibt, von denen sich einige bis ins 10. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Bei manchen dieser Formen sind ausschließlich Ring-, bei anderen daneben auch Fausttechniken erlaubt.  Das 'Haus der Stärke', das ebenfalls seit vielen Jahrhunderten bis in unsere heutige Zeit hinein existiert, ist ein Ort der physischen und spirituellen Stärkung. Hier trainierte die Jugend sich mit entsprechenden Trainingsgeräten für den Kampf und die Schlacht. Dort wurden auch Schwert- und Speerkampfübungen abgehalten, ehe sie im 19. Jahrhundert verboten wurden. Doch Reste davon sind als symbolische Trainingsformen auch in den Übungen mit Trainingsgeräten noch erhalten. Die ebenfalls von mir erwähnten Tänze werden vor allem im Süden des Iran bis heute gepflegt und meist mit Säbel und kleinem Schild oder zwei Säbeln aufgeführt.

Fechtgeschichte: In allen Himmelsrichtungen des Iran liegen andere große und kleine Reiche und Volksgruppen. Darüber hinaus forderten im Laufe der Geschichte unter anderem der Makedone Alexander mit seinem Heer, die Islamische Expansion und die Osmanen das Perserreich heraus. Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund den kulturellen Austausch auf dem Gebiet der Kampf- und Bewegungskünste ein?

Manouchehr Moshtagh Khorasani: Der Iran war immer ein Vielvölkerstaat. Man hat die Einflüsse anderer aufgenommen, aber auch immer die angrenzenden oder eindringenden Kulturen verändert.  Das spiegelt sich natürlich auch in der Vielfältigkeit der Kampfkünste wieder. Ich will dazu ein Beispiel aus dem Ringen geben. Im Norden des Iran ist das Schlagen mit den Fäusten ohne Schutz erlaubt, im Nordosten nicht. Dafür trugen die Kämpfer hier eine Art spezielle Ringerkleidung, ähnlich einem japanischen Gi. Im Süden gab es wieder andere Kampftechniken. Hier bewegte man sich sehr tief und kämpfte auch dementsprechend. Ein anderes Beispiel noch aus der Kriegstechnik. In der Konfrontation mit der gewaltigen Kriegsmaschinerie der Osmanen, die zu einem Großteil aus Artillerie bestand, setzten sich in den persischen Armeen im 15. und 16 Jahrhundert schrittweise die Feuerwaffen durch. Jedoch kann man für die Zeit vom 16. bis Anfang des 19. Jahrhunderts nach heutigen Kenntnisstand sagen, dass sich die Kampf- und Kriegstechniken nur wenig änderten, sondern relativ konstant blieben. Hier kann man gewisse Parallelen zum japanischen Kaiserreich der gleichen Zeitspanne feststellen, in dem Kriegs- und Kampfkünste auf ähnliche Weise über einen längeren Zeitraum relativ konstant überliefert wurden. Dies änderte sich im Iran erst im 19. Jahrhundert wieder, als mehr und mehr europäische Militärberater ins Land kamen. Man muss aber beachten, dass die ersten europäischen Militärberater bereits während der Periode von Shah Abbas Safavid (1571 – 1629) in den Iran kamen.

Fechtgeschichte: Kapitel 2 Ihres Buches trägt den Titel „THE SACRED WEAPON: ARCHERY IN IRAN”. Warum wählten Sie diese Überschrift?

Manouchehr Moshtagh Khorasani: Dem Bogen kommt innerhalb der iranischen Kriegerkultur eine herausragende Stellung zu. Dies wird allein schon deutlich an der Anzahl der erhaltenen Manuskripte. Über das Bogenschießen sind wesentlich mehr Manuskripte erhalten als über jede andere Waffe des persischen Raumes. Derzeit kennen wir 22 Handschriften, manche von ihnen sind 100 Seiten stark. Allesamt sind sie überaus detailliert ausgearbeitet und beschreiben von der Ausrüstung wie Daumenschutz und unterschiedliche Pfeilsorten über Auszugtechniken bis zu Trefferzonen und dem Schuss vom Pferderücken aus so gut wie jeden Aspekt des Bogenschießens. Die Techniken unterscheiden sich teilweise von Handschrift zu Handschrift. Viele der Autoren haben eigene Techniken, die man ausschließlich bei ihnen findet. Die Vielzahl der Quellen zum Bogenschießen lässt sich mit Rückgriff auf den kulturell-mythologischen Hintergrund erklären. In der Mythologie wie auch der Frühgeschichte des Iran nahm der Bogen immer eine Sonderrolle ein. Er war die Waffe von Göttern und Helden der iranischen Mythologie und damit immer auch ein Symbol der Herrschaft. Zum Beispiel ist der mythologische Held Ārasch mit dem Bogen bewaffnet, und die Perserkönige der Archämeniden und Parther wurden auf Münzen immer mit einem Bogen in der Hand abgebildet.

Fechtgeschichte: Vielleicht noch stärker als den Bogen verknüpft man das Ringen mit der persisch-iranischen Kultur. Zufällig unterhielt ich mich erst neulich mit einem Iraner, der mir dies wie selbstverständlich bestätigte, indem er sagte: „Ja, wir Iraner werden in Sachen Sport von der ganzen Welt vor allem als Ringer wahrgenommen.“ Welchen Stellenwert hat das Ringen in der heutigen und in der historischen iranischen Kampfkunst?

Manouchehr Moshtagh Khorasani: Das Ringen genießt sowohl heute wie auch in der Historie sehr hohes Ansehen. Noch heute werden nach meinen Forschungen 23 traditionelle Ringstile im Iran gepflegt, von denen manche viele hundert Jahre in die Vergangenheit zurückreichen. In den historischen Kampfkünsten ist das Ringen ein integraler Bestandteil. Das Ringen ist zum einen eine eigene Disziplin und findet in sportlichem Wettkampf und Krieg seine Anwendung. Drei überaus bedeutende Handschriften zur Ringkampfkunst des Iran bespreche ich in meinem Buch. Die Handschrift von Šarif Mohammad, dem Sohn von Ahmad Mehdi Hosseyni aus der Zeit von Šāh Esmā'il Safavid enthält 43 Techniken, die Handschrift des Tumār-e Puryā-ye Vali zählt 47 Techniken und die Handschrift Masnavi-ye Golkošti-ye Mirnejāt beinhaltet 35 Techniken, die bemerkenswerterweise in Form eines Gedichtes vermittelt werden. Doch auch im Waffenkampf ist das Ringen ein fester Bestandteil. Aus einer weiten Distanz arbeiteten sich die Kämpfer mit ihren Waffen in eine mittlere Distanz vor. Von dort aus können sie jetzt ihren Gegner mit der Waffe töten oder einen Eingang ins Ringen suchen. Ein gutes Beispiel dafür, dass das Ringen im Kampf immer eine Option ist, ist die Konstruktion eines typischen persischen Schildes. Dieser Schild, aus Büffel- oder Nashornhaut und teilweise aus Stahl bestehend, wird auf eine spezielle Art gehalten, so dass man den Schild drehen und mit der Schildhand die Waffenhand des Gegners greifen kann. In dieser Situation kann der Gegner, da seine Waffenhand fixiert ist, mit der Waffe angegriffen oder geworfen werden.

Fechtgeschichte: Das Buch von Ahmad Mehdi Hosseyni aus der Zeit von Šāh Esmā'il Safavid (1502-1524), von dem Sie weiter oben bereits sprachen, ist ein sehr umfangreiches Manuskript. Es behandelt den Kampf mit Speer, Schwert, das Ringen und Bogenschießen sowie den berittenen Kampf. Können Sie unseren Lesern etwas mehr über Geschichte, Inhalt und Struktur des Werkes erzählen?

Manouchehr Moshtagh Khorasani: Ahmad Mehdi Hosseyni bekam den Auftrag, für seinen Herrn ein Buch zu schreiben, dass ausführlich darstellt, wie man mit welcher Waffe kämpfen sollte. Es enthält sowohl Anweisungen zur Waffenpflege wie z.b. das Schärfen der Waffen, als auch detaillierte Kampftechniken. Zu den Kampftechniken zählen 43 Stücke aus dem Ringen, 40 Stücke aus dem Speerkampf, außerdem Anweisungen zum berittenen Kampf und zum Bogenschießen. Das Manuskript enthält auch einen Teil zum Schwert. Interessanterweise steht darin nur geschrieben, wie man das Schwert schärft, nicht aber wie man damit kämpft. Ich gehe davon aus, dass Teile des Manuskripts verloren gegangen sind, denn für die Lanze zum Beispiel schreibt Ahmad Mehdi Hosseyni sowohl zum Schärfen wie auch zum Kämpfen. Wenn die Handschrift wirklich unvollständig ist, dann hoffe ich, dass wir irgendwann in einer Bibliothek eine vollständige Abschrift des Werkes finden werden, die auch den Teil zum Schwertkampf enthält.

Fechtgeschichte: Sie sagen,  Ahmad Mehdi Hosseyni bekam den Auftrag, für seinen Herrn ein Buch über Kampftechniken zu verfassen. Was ist über ihn sonst bekannt? Was ist über die Autoren anderer Schriftquellen bekannt? Und kann man aus den Quellen erkennen, welchen sozialen Status die Autoren innehatten?

Manouchehr Moshtagh Khorasani: Leider wissen wir nicht sehr viel mehr über die Entstehungsgeschichte des Werkes und den Autor Ahmad Mehdi Hosseyni. Es ist nur bekannt, dass er ein Mitglied der Armee war und das Buch  für die Spezialeinheiten des Šāh geschrieben hat. Über einen anderen Autor, der damit beauftragt wurde, eine Bogenhandschrift anzufertigen, besitzen wir ebenfalls ein paar Informationen. Sein Vater war ein Philosoph, er selbst war Ausbilder für das Bogenschießen. Bei vielen der übrigen Handschriften ist leider oft nicht einmal der Autor klar. Das ändert sich erst im 18. und 19. Jahrhundert mit den Büchern über das  Vorderladerschießen. Hier sind die Autoren gut bekannt, und meist sogar, in welchem Regiment sie dienten.

Fechtgeschichte: Waren die Kampfkünste, die Sie in ihrem Buch untersuchen, ausschließlich für den Krieg gedacht oder gab es auch zivile Kampfkünste?

Manouchehr Moshtagh Khorasani: Viele der von mir untersuchten Quellen deuten auf einen überwiegend militärischen Gebrauch der Kampfkünste hin. Es waren für den Krieg trainierte Kampftechniken. Als eine zivile Kampfkunst würde ich aber auf jeden Fall das Ringen bezeichnen, und zwar dann, wenn es in Form von Wettkampfsport ausgeübt wurde. Außerdem sind für das 18. und 19. Jahrhundert zwei- und ein einschneidige Kurzschwerter belegbar mit Namen „Qama” und „Qaddare”. Diese werden ohne Schild geführt, was auf eine zivile Trageweise hindeutet, da sonst jede Waffe im militärischen Kontext nur zusammen mit Schild genutzt wurde. Wenn es vor dieser Zeit noch andere Waffen für eine zivile Kampfkunst gegeben haben sollte, dann sind diese im im Moment nicht belegbar.

Fechtgeschichte: Zum Abschluss noch die Frage: Haben Sie bereits Pläne für ein neues Buch?

Manouchehr Moshtagh Khorasani: Ja, ich arbeite bereits an einem Buch über persische Vorderladerfeuerwaffen. Außerdem wird bald ein Buch über das persische Bogenschießen folgen, das 26 aus dem persischen übersetzte Manuskripte beinhalten wird. Auch zum berittenen Kampf plane ich eine Publikation. Wir müssen immer weiter forschen, denn wir stehen erst ganz am Anfang.

Fechtgeschichte: Viel Erfolg bei ihrer weiteren Arbeit und vielen Dank für das Interview.


Das Buch 'Persian Archery and Swordsmanship: Historical Martial Arts of Iran' erscheint im November 2012 bei Niloufar Books.


Buchcover


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