Samstag, 28. Mai 2022

Der Lanzierer in Johann Jacob von Wallhausens "Kriegskunst zu Pferd" (1616)

von Jan Schäfer

Abstract:
  • sein Pferd: groß, stark, wohl zur Hand, nicht scheuend, sicher auf Füße und Schenkel des Reiters abgerichtet (Wallhausen: S. 3, 5)
  • sein Sattel: soll das Pferd nicht drücken oder anderweitig schädigen, dem Reiter einen festen Sitz geben, dass er den Stoß der Lanze aushalten kann; am rechten Steigbügel ein Holster von einer Spanne Länge, um die Lanze darin abzustellen (Wallhausen: S. 5; siehe Abbildung Figur 2)
  • die Eigenschaften eines Lanzierers: muss ein guter Reiter sein und Pferde auch ausbilden und versorgen können, außerdem die verschiedenen Pferde und ihre Eigenschaften kennen (Wallhausen: S. 5)
  • seine Ausrüstung: Rüstung, Stiefel, Sporen, 1-2 Pistolen, Seitengewehr, sog. „Stickada“ (Wallhausen: S. 5)
  • seine Rüstung bestehend aus: voller Kürass vom Haupt bis über die Knie, bestehend aus: Ringkragen, vorderes und hinteres Bruststück (schussfrei gegen Muskete und Pistole), Armschienen mit Schulterblättern, eiserne Handschuhe, Casket, Beinschienen und Hüftschienen, alles an den Träger angepasst (Wallhausen: S. 6; siehe Abbildung Figur 2)
  • die Befestigung des Seitengewehrs: auf dem Kürass fest angegurtet (Wallhausen: S. 6; siehe Abbildung Figur 2)
  • die Lanze: 18 – 21 Schuh (ca. 4,5 - 6,0 m) lang mit lederner Armschlaufe und dreieckig schneidender oder zweischneidiger Spitze (Wallhausen: S. 6f; siehe Abbildung Figur 2)
  • Pistolen: neben der Lanze führt er eine oder zwei geladene Pistolen mit sich (Wallhausen: S. 7; siehe Abbildung Figur 2)
  • seine Aufgabe im Gefecht: sowohl Reiterei als auch von Fußvolk angreifen und ihre Formationen aufzulösen (Wallhausen: S. 7)
  • die drei Fällungen der Lanze gegen Reiterei und Fußvolk: Oberhuts, Mittelhuts, Unterhuts (Wallhausen: S. 7f; siehe Abbildung Figur 3 und 4, jeweils Nummer 1, 2 und 3)
  • Ansetzen an den Feind: zuerst sachte, dann Galopp, zuletzt Carriera (wobei die Carriera je kürzer desto besser ist, weil so der Stoß stärker wird und das Pferd nicht ermüdet), ab der Hälfte der Distanz zum Feind lässt er die Lanze sinken (Wallhausen: S. 8; siehe Figur 5, Nummer 7)
  • gegen einen gerüsteten Gegner: soll er mit Lanze, Pistole oder Schwert das Pferd des Feindes attackieren (Wallhausen: S. 8f)
  • im Angriff: es ist besser, die Lanze nach rechts zu fällen, um so die linke Seite des Feindes zu attackieren (Wallhausen: S. 8ff; siehe Abbildung Figur 6, Nummer 3), außerdem verschlechtert ein Fällen der Lanze nach links den Sitz
  • schießen mit der Pistole: wenn er die Lanze nicht mehr gebrauchen kann, im Schritt, Trab, Galopp und Carriera in der Ober-, Mittel- Unterhut (Wallhausen: S. 11; siehe Abbildung Figur 7, Nummer 1-7)
  • das Seitengewehr: das letzte Mittel zum Angriff, im Schritt, Trab, Galopp und Carriera in der Ober-, Mittel- Unterhut, alle Stiche mit gebogenem und nicht mit ausgestrecktem Arm (Wallhausen: S.  11f; siehe Abbildung Figur 8, Nummer 1-7)
  • die Kontroverse: Wallhausen beklagt die Geringschätzung und den damit einhergehenden Niedergang der Lanze zu seiner Zeit (Wallhausen: S. 3ff). Er argumentiert in seinem Buch gegen die Ausführungen des Georg Basta, der in seinem Buch „Gouverno della Cavalleria“ den Kürassier dem Lantzierer aus verschiedenen Gründen als überlegen ansieht (Wallhausen: S. 3ff, S. 12ff).
In Zitaten:
  • sein Pferd: "Der Lantzierer muß fürderst haben / ein hohes / starckes / wol zur Hand / nicht scheuendes / gewiß auff Füßen vnnd Schenkeln / abgerichtetes Pferd / den Zaum dem Pferd am bequembsten vnnd leichsten."
  • sein Sattel: "Der Sattel dem Pferd gerecht / nicht zu trucken, oder das Pferd zuschädigen / dem auffsitzenden / zu wohlgeschicktem festsitzen / den starcken Stoß der Lantzen damit auffzuhalten / mit Vortheil gemacht / doch nicht zu schwer […] am rechten Steigreiff deß Sattels hat er ein klein Holffter / vngefähr einer Spannen lang / fest gemacht / darinnen er die Lantze, so er sie auffrecht führet / instellet / vnd sie in der Höhe führet" [siehe Abbildung Figur, 2 Nummer 1]
  • der Lantzier an sich: "Er muss sein ein guter Reuttersmann, der ein Pferd nicht allein wisse wol zureiten / auch vnberittene Pferd wisse abzurichten / wol zuwarten [versorgen] / vnnd in achtzuhaben: sondern der auch ein jedes Pferd / so ihm vnder handen komt / sein Natur vnnd Eygenschaften / wol wisse zu erkennen und mercken"
  • seine Ausrüstung: "Stieffel vnnd Spron / darneben sein Seiten gewehr / ein schneidende Stickada oder Wehr" [siehe Abbildung Nummer 2, Figur 2]
  • seine Rüstung: "der volle Kühriß oder Harnisch / damit er vom Haupt biß vber die Knie zum wenigsten / muss versehen seyn / als Num. 3 Fig. 2 du sihest / welches sein nachfolgende Stück: als Ringkragen / forder vnd hinder Leibstuck / das Fordertheil oder Bruststück / gegen Musquet vnd Pistol schoßfrey / kannst dasselbige forderstück mit doppelten zweyen stücken / oder einfach / nach deinem Wolgefallen / nemmen / dahero du dann auch dieses hast / daß du das forder Bruststück kannst schoßfrei machen / so du die eine Platten oder forderstück drauff setzest / vnd ist alls dann vnder die schwere Cavallerie gerechnet / willstu dich aber leichter haben / so thustu das forder erste stück oder Platte hinweg / bist alsdan in Cavallerie leggiera. Armschienen oder Armpfeiffen mit sein Schulterblätter vollnkommen / eiserne Handschuhe / ein wohl für den Stich vndd hauwe / wie auch verflogene kugel Casket / die Beinschiene oder Taschetten / die Knied bedeckend / wol einem jederm nach seiner Läng und Grösse gerecht / als in Num. 4. die Länden oder Hufftschienen / auch mit guttem Vortheil nach deß tragenden gemacht / als Num. 5 alles wol nach dem Leib des Armantis, welches einem Armato nit wenig Vortheil gibt / daß er ein wol angesuchte / gerechte / allenthalben anligende vnnd anschliessende Waffen oder Kühriß habe / beydes vmb zierlig- Wie auch Bequemmig- vnd Behendigkeit"
  • die Befestigung des Seitengewehrs: "auf dem Küriss fest angegurtet, damit es ihm nicht ausschießen / oder / wann er darnach greiffen soll / entweichen kann / welches er fertig nach gebrochener Lantzen haben muss, als Num. 6. Fig. 2."
  • die Lanze: "ein rechter Spieß vnnd Picque / in aller Form / wie er zu Fuß gebraucht wird / aber etwas stärcker (vnden hienabwärts am Spieß) von Holtz / 18. zum wenigsten / 20. 21. Schulang [Anmerkung: ca. 4,5 - 6,0 m] / vnd unden zweischuch vom ende ein kleines Löchlein, mitten durc hden Spieß / dardurch eins starck ledern Riemlein gezogen / darin du den rechten Arm steckest / damit du die zu rück an dem Arm habende Lantze oder Spieß / an Arm fest ansetzest / kanst als dann den Rennspieß oder Lantze regieren / vnd zwingen / wie die gefellig: die Spitze an der Lantze ist dreyeckicht schneidend oder ein wenig breit vnnd zweischneidend wird mit keiner langen Federn / wie die Picque zu Fuß / fest angemacht / sondern daß sie an der Lantze oder dem Rennspieß fest sitze / wie du in Num. 7. Fig. 2 den SPieß zu sehen hast"
  • Pistolen: "Neben der Lantzen führet er wo nicht zwo doch eine gewisse / geladene Pistol / so ein Untze Pley schiesset / die hänget er fertig mit Ladung / Spannung / vnd auffgesetztem Drachen oder Haan / die Pulverflaschen oder Patrontasch sampt Spänner auff die Hulffter / der Pistol festgemacht / die Pistolen gebraucht er an Ort vnd: Enden / da er sein Latze nicht gebrauchen kann / damit er sich eben so wohl mit zweyen Pistolen zuwehren hat / als der Kührissierer. Wie in Num. 8 du sihest"
  • seine Aufgabe im Gefecht: "Sein effectus oder das jenige so ihm auffligt zuthun / ist mit seiner Ungestümb / die Ordnung beydes der Reuterey / als deß Fußvolks zu trennen"
  • die drei Fällungen bzw. Ansetzungen der Lanze: "Die erste Fällung gegen Reuterey so vberhuts geschieht / ist so er den Stoß seinem Feind ins Gesicht / oder dessen Pferd bringet / als in Fig. 3. Num. 1 wie auch deßgleichen gegen Fußvolck / oder dem Piquenier oder Mußquetier sein Lantze recht ins Gesicht oder Halß ansetzet / als Fig. 4. Num. 1. Die zweyte Fällung / so Mittelhuts gegen Reutterey volnbracht wird / ist / so er suchet den armirten oder vnarmirten Reuter auß dem Sattel zu stechen / oder dessen Pferd in den Halß zur Seitten mit der Lantzen ansetzet / als in Num. 2. Fig. 3. gegen den Mann / Num. gegen das Pferd / gegen Fußvolk wird diese Fällung also volnbracht / wann er den Mann in der mitten sucht / als in Num. 2. Fig. 4. du siehest. Die dritte Fällung gegen Reuterey so unterhuths ist wird also geleistet so er seiner armirten Partheyen Pferdes Brust / lincke oder rechte durchsetzet als Num. 3. Fig. 3. Gegen Fußvolk / wann er den Fußknecht vnden Kniend oder liegend / mit der Lantzen zu offendiren suchet / als in Num. 3. Fig. 4."
  • Ansetzen an den Feind: "So er an den Feind ansetzet, so setzet er erst sachte / darnach mit einem Galop / aufs letzte mit einer starcken Carriera an / die Lantze praesentiret er von obenherab / wann er die helffte der distantien gepassiret / lesset er die Lantze sincken / vnd sein Stoß volnbringt er als dann nach occasion des Feindes / da er ansetzt / als Num. 7. Fig. 5."
  • die Lanze fällen nach rechts und links: "Rechts die Lantze fällen geschihet / wann er die Lantze auff der rechten Seyten lengst dem Pferd fället / welches die gewisseste vnnd sicherste Fällung / vnd vnder den obgesetzten drey Sorten vnnd Fällungen am bquemlichsten. Lincks / wann du in einer schrohe hinder des Pferds Halß neben dem lincken Ohr an der lincken Seyten sie herfür praesentirest / vnnd drey bgesetzte Arte von Fällungen verrichtest / als Num. 8. Fig. 5."
  • gegen einen gerüsteten Gegner: "Wann er gegen Reuterey im Feld helt vnd treffen soll / muß er dieses wol mercken / so er sein Feind auff dem Pferd gantz armiret hat / daß er die oberhuts vnnd mittelhuts Fällung lase passiren / vnnd sich zu der unterhuths Fällung füge / deren er dann am gewissesten ist: dann dieweil er den wol armirten Mann nicht haben mag / so muß er seyn Pferd suchen / welches er wol muß mercken"
  • im Angriff: "Wenn er sein Feind angreifft / so sihet er mit allem Fleiß / daß er ihm die lincke Seyten / enweder deß Mannes oder Pferds / abgewinne / auß der Ursachen / dieweil er den Feind vnd das Pferd auf der lincken Seyten am meisten offendiren vnnd verletzen kan / da er auch am schwächsten / so ist auch das Pferd an der lincken Schulter am gewissesten zufassen vnd leichtlicher zu fällen"
  • warum es besser ist, die Lanze rechts zu fällen: "ich habe dir gesagt / daß du deinem Feind / allezeit solst die lincke Seyten suchen abzugewinnen: Wann du nun dein Lantze rechts fällest / so praesentirestu ihm die Lantze recht an den Ort deß Lebens / oder da das Hertz beydes Mannes vnd Pferdes sitzet / welches ein jeder mß zugeben / dann offt mancher Durchstich an der rechten Seyten nit allein nicht tödlichen / sondern auch das Pferd nicht so geschwind zufällen ist / welches den gewisser / so du den Stoß auff die lincke Brust gegen das Hertz an in effectu anbringest / als in Figura 5. Num. 9 du für Augen hast"; Weiterhin: "so du die Lantze lincksfällest / so mustu mit deinem gantzen Leib dich nach der lincken Seyten zu begeben / welches dir ein ungewissen Sitz verursachet / vnnd so dein dein Widersacher oder Feind solches in acht nehme / wie bald meinstu daß er dich auß dem Sattel raumen könnte / darzu er nicht grosse Mühe bedarf. Dann so er nur sein Lantze dir in die rechte Seyte anbringet / so bistu gewiß in grosser Gefahr / daß er dich vollend auß dem Sattel zu boden stosse als Fig. 6. Num. 3."
  • schießen mit der Pistole:  "Wann er sein effect mit der Lantze bewisen / vnnd die nicht mehr gebrauchen kan / hat er sein Pistolen fertig / darinnen er sich auch wol geübet vnd abgerichtet finden muß. Er gewehnet sich vnd lernet still haltend / reitend / galoppirend vnd mit vollem Currier mit der Pistol nach dem Ziel zuschiessen / da er ihm dann drey Papier oder Mercke an ein Stock fest machet / vnnd auff gedachte drey Hutsfällungen in der Lantzen / vbet er sich auch mit der Pistol Ober / Mittel / Unterhuts / gewiss zuschiessen / mit sacht reiten / traben oder galoppiren / vnd voller Carriere / wie du in Num. 1. 2. 3. Figura. 7."
  • das Seitengewehr: "Deine letze Erwehrung geschihet mit dem Seitengewehr / welches du zur lincken oder rechten Seiten / nach dem sich die Gelegenheit praesentiret / brauchen kanst. Wann du an dem armirten Mann nichts haben kanst / so suchestu die lincke Brust oder den Halß des Pferdes als Num. 1 Fig. 8. gleich wie mit der Lantzen durch zustechen / da du dann gute Achtung auffgibest / daß du des Feindes Pferd wol dieff genug stechest / damit es desto eher fällig werde / habe acht darauf / daß du alle deine Stiche mit gebogenem vnnd nicht außgestrecktem Arm verrichtest / beides vmd die Zierligkkeit / vnnd Gewißheit des Stosses / so wol auff den Mann als das Roß / als Num. 4. Fig. 8. Dieses wol gewiß zu sein / setzestu dir drei Mercke oder Zeichen an ein Pfaal oder Baum / vnnd gewehnest dich still haltend / reident / galoppieren vnd mit voller Carriere mit einem Fechtrappier / in gebogenem Arm darnach zu stechen / vnd des Stichs dich gewiß zu machen / als Num. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Fig. 8. gegen das Ziel / wie auch Roß vnnd Mann wie auch Fußvolck / du sihest."

Quelle:

Wallhausen, Johann Jacob von: Kriegskunst zu Pferdt. Darinnen gelehret werden, die initia und fundamenta der Cavallery, aller vier Theilen: Als Lantzierers, Kührissierers, Carbiners und Dragoens, was von einem jeden Theil erfordert wirdt, was sie praestiren können, sampt deren exercitien, Newe, schöne Inventionen etlicher Batailien mit der Cavallerey ins Werck zu stellen; Mit dargestelten Beweistumben, was an den edlen Kriegskünsten gelegen: Vnd deren Fürtrefflichkeiten / vber alle Kunst vnd Wissenschafften. Vormals nie an an Tag gegeben. Gepracticiret / beschrieben vnd mit schönen künstlichen Kupfferstücken angewiesen. Frankfurt am Main, 1616.

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